Illegale Abschiebungen Asylbewerber verklagt Frontex am EuGH
Mittwoch 20.Oktober.2021 - 10:32
Omar B. und seine Familie wurden 2016 vom EU-Grenzschutz in die Türkei abgeschoben, obwohl er in Griechenland Asyl beantragt hatte. Nun verklagt er die EU-Grenzschutzbehörde Frontex beim EuGH auf Schadensersatz. Seine Klage soll kein Einzelfall bleiben.
Die niederländische Menschenrechtsanwältin Lisa-Marie Komp vertritt den Syrer Omar B. in einer Klage gegen Frontex – der allerersten Schadensersatzklage gegen die EU-Grenzschutzbehörde vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), wie sie betont. Komp will aber nicht nur, dass er und seine Familie entschädigt werden: Erstmals muss sich der EuGH mit der Frage befassen: "Inwieweit Frontex für Menschenrechtsverletzungen bei den 'gemeinsamen Operationen' verantwortlich ist, die Frontex gemeinsam mit Frontex durchführt Mitgliedsstaaten." Im Jahr 2016 halfen Frontex-Beamte Berichten zufolge ihren griechischen Kollegen bei einer solchen „gemeinsamen Operation“, Omar B., seine Frau und seine vier Kinder illegal in die Türkei abzuschieben. Ein sogenannter Pushback, wie Hunderte Flüchtlinge in den letzten Jahren an der EU-Außengrenze erlebt haben. Das Besondere am Fall B. sei, dass alles sehr genau dokumentiert sei, erklärt Anwalt Komp - unter anderem, dass die Familie kurz vor ihrer illegalen Rückkehr in die Türkei Asyl beantragt habe.
Abschiebung vor Asylentscheid Frontex hat bisher stets bestritten, an "Pushbacks" beteiligt gewesen zu sein. Auch im Fall von Omar B. Im Herbst 2016 floh die Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien in die Türkei und von dort mit dem Boot weiter zu den griechischen Inseln. Nachdem sie einen Asylantrag gestellt hatte, sagte ein griechischer Polizist zu Omar B., dass die Familie nach Athen gebracht werden solle. Daher bestieg die Familie B. am 20. Oktober 2016 ein Flugzeug auf der Insel Kos. Auch Frontex-Beamte waren an Bord. Omar B. ist nicht misstrauisch geworden - nach EU-Recht darf der Antragsteller erst abgeschoben werden, wenn über einen Asylantrag entschieden wurde.
Wir dachten, wir fahren nach Athen. Aber als das Flugzeug landete, sahen wir am Flughafen die türkische Flagge, "erinnert sich B. am Telefon." Da bemerkten wir, dass wir angelogen und entführt worden waren. „Die Familie wurde in die türkische Stadt Adana gebracht – rechtswidrig, sagt ihr Anwalt. Deshalb hat Komp versucht, gemeinsam mit Omar B. bei Frontex Anzeige zu erstatten Verstoß gegen das Gesetz.
Omar B. lebt inzwischen mit seiner Familie im Nordirak. Jetzt ist der Europäische Gerichtshof seine letzte Hoffnung auf späte Gerechtigkeit: "Ich hoffe wirklich, dass das Europäische Gericht mir Recht gibt und die Männer verurteilt, die uns belogen haben und mitten in Griechenland entführt und in die Türkei gebracht haben", sagt er.
Seine Anwältin Komp schätzt, dass es mindestens eineinhalb Jahre dauern wird, bis ein Urteil gefällt wird. Aber sie ist überzeugt davon, dass ihr Mandant Recht bekommen werde: zu erdrückend sei die Beweislage für die Mitschuld von Frontex. "Während des Fluges wurde keine einzige Maßnahme ergriffen, um nochmal zu kontrollieren, ob die Leute, die da zurückgeführt werden, auch tatsächlich rechtlich zurückgeführt werden dürfen", sagt sie. "Fast noch schockierender ist die Art und Weise, wie die Menschen behandelt wurden, denn obwohl diese Kinder so jung waren, wurde die Familie voneinander getrennt. Den Personen wurde verboten, miteinander zu sprechen und sie wurden alle einzeln in dieses Flugzeug gesetzt."
Omar B.s Klage vor dem EuGH soll kein Einzelfall bleiben. Zudem hofft Komp, dass ein Urteil zugunsten ihres Mandanten auch dazu führen wird, dass Frontex sich wieder seiner Kernaufgabe bewusst wird: die Einhaltung europäischen Rechts an der EU-Außengrenze zu garantieren.