Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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EU-Kommissionspräsidentin: Die Notiz ist voller Pläne

Freitag 17.September.2021 - 06:30
Die Referenz
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Nach dieser Rede kann der Kommission und ihrem Präsidenten keine Ideenlosigkeit vorgeworfen werden.  Und auch nicht, weil er es nicht mit ausreichender Überzeugung präsentiert hat.  Aber reicht das?  Die Situation in Europa ist komplizierter als in den USA.  Von der Leyen ist nicht Regierungschefin, sondern muss 27 davon jonglieren – 27 gegen deren Willen dank des europäischen Einstimmigkeitsprinzips letztlich nichts durchgesetzt werden kann, zumal es viel Geld kostet.

Wieder einmal hofft das Parlament, das in dieser Konstellation fast die Rolle der Opposition einnimmt, vergeblich auf explizite Kritik an den Mitgliedstaaten.  Dies wird am deutlichsten in dem Abschnitt der Rede, der sich mit der Rechtsstaatlichkeit befasst.  Von der Leyen spart dabei nicht an klaren Worten.  Aber Polen oder Ungarn erwähnt sie überhaupt nicht.  Nur: Warum noch diese Vorsicht, wenn sie es so ernst meint, wie sie es sagt?  Schließlich ist klar, wer gemeint ist, wenn von der Leyen von europäischen Werten spricht: „Dafür waren wir alle engagiert, als wir Teil dieser Union wurden“;  besonders betont sie "alle".

In etwa einer Woche könnte das polnische Verfassungsgericht zeigen, ob solche Worte überhaupt Wirkung zeigen.  Dann besteht die Gefahr, dass das EU-Recht dem nationalen Recht untergeordnet wird, was an sich zumindest ein Austritt aus der EU-Wertegemeinschaft wäre.  Und das Scheitern der bisherigen Strategie der EU, das Problem durch Verhandlungen und Gespräche zu lösen.

Der Kommissionspräsident versucht den Eindruck zu erwecken, dass der Dialog weiterhin wichtig bleibt, aber kein "Selbstzweck" sein sollte, was darauf anspielt, dass die Kommission kürzlich beschlossen hat, den Europäischen Gerichtshof auf Zahlung von Geldbußen gegen Polen zu ersuchen  dass die EU eine rechtswidrige Justizreform beantragt.  Aber das reicht dem Parlament nicht, das die Kommission wegen Untätigkeit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit verklagt hat.  Dacian Cioloș, Fraktionsvorsitzender der Liberalen, fasst die Kritik in der Plenardebatte im Anschluss an die Rede zusammen: "Sie machen zu viel Diplomatie mit den Mitgliedstaaten und zu wenig Politik mit dem Parlament."

Dies zeigt sich auch in anderen Momenten der Rede.  Zum Beispiel, als von der Leyen anlässlich der Situation in Afghanistan das Parlament zu einer kooperativen Migrationspolitik aufrief - was fast schon seltsam anmutet, sind es doch die Staaten, die sich über die Aufnahme von Flüchtlingen nicht einigen konnten  Jahre.  Oder als sie für das kommende Jahr einen Verteidigungsgipfel ankündigte, den sie mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron schon vor Beginn der französischen Präsidentschaft geplant hatte.  Ein verteidigungspolitisch eigenständigeres Europa wünschen sich sicherlich auch hier viele – ein bilaterales Vordringen ist weniger wahrscheinlich.  Aber: In Frankreich stehen nächstes Jahr Wahlen an, Macron hat den Ruf als europäischer Visionär verloren.  Und von der Leyen eine Partnerin.
Die ganz besondere europäische Art aber, dass am Ende immer die Gesamtheit der Mitgliedsstaaten die Grenzen jeder Europavision bestimmt.  Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn von der Leyen konkrete Vorschläge für eine bessere Vernetzung und Kooperation zwischen Staaten macht, etwa ein gemeinsames Lagezentrum für Verteidigungsfragen mit dem vagen Namen „Joint Situational Awareness Center“.  Und in diesem Zusammenhang benennt sie plötzlich das Grundproblem, das auch für viele andere Fragen gilt: „Was uns bisher zurückgehalten hat, ist kein Mangel an Kapazitäten. Es ist der fehlende politische Wille. Und wenn wir den entwickeln, können wir“  auf EU-Ebene viel erreichen.“

Letztlich bleibt diese Rede eine Ansammlung von Ideen, die fraglich sind, was wirklich aus ihnen werden kann.  Es hat sich einmal mehr gezeigt: So groß die europäische Grundidee auch ist, der Boden der Tatsachen ist so hart, dass jeder, der dort etwas bewegen will, irgendwann landet.  Egal wie sehr Europas Seele gestreichelt werden kann.

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