Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Deutscher in Kabul : "Man wird gezwungen zu betteln"

Freitag 03.September.2021 - 05:29
Die Referenz
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Amar Amin war für die Bundesregierung, die Bundeswehr und die afghanische Regierung tätig. Er vermutet, er wurde in Kabul vergessen. Die Familie in Deutschland: wütend und hilflos. Wie Zdf berichtet : Amar Amin (Name von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert) ist 1980 von Afghanistan nach Deutschland gekommen, hat hier eine Familie gegründet und ein erfolgreiches Leben aufgebaut. Er hat einen deutschen Pass, ist überzeugter Europäer und legt viel Wert auf Diplomatie. Jetzt sitzt er in Kabul fest – ohne Aussicht auf Hilfe. Keine Rettung in Kabul : Amin hat 2002 erstmals für die Bundesregierung in der Kabuler Botschaft gearbeitet. In den letzten 15 Jahren war er ein ranghoher Angehöriger der afghanischen Regierung. Zuletzt war er für das afghanische Finanzministerium tätig, hatte eine Wohnung in Kabul und besuchte seine Frau und die drei Kinder möglichst oft zu Hause in Nordrhein-Westfalen. Vor einigen Wochen, mit 64 Jahren wollte Amin diesen Posten abgeben, sein Rücktrittgesuch wurde akzeptiert. Anfang August folgte die Übergabe – danach sollte es zurück nach Deutschland gehen, dauerhaft. Er kündigte die Wohnung, packte seine Sachen – doch dann kamen die Taliban. Sie rechneten mit Hilfe der Bundesregierung Amin ist fest davon ausgegangen, Deutschland würde ihn rausholen: "Ich war mir ziemlich sicher, dass man mich nicht vergisst, dass man mich abholt und wenn ich zum Flughafen fahre, werde ich irgendwo einem deutschen Soldaten begegnen und um Hilfe bitten. Aber das ist nicht geschehen." Stattdessen geschah nichts. Er registrierte sich umgehend für die Evakuierungsliste, bekam regelmäßige Informationsmails vom Auswärtigen Amt. Doch nur ein einziges Mal klingelte das Telefon mit einer Aussicht auf Rettung. "Am vergangenen Montag hat man mich gegen 19.40 Uhr angerufen und hat gesagt: ‚Wir rufen Sie in einer Stunde nochmal an, Sie bekommen eine E-Mail und sollen bereit sein. Wir holen Sie von einem bestimmten Punkt ab.‘ Ich war bereit, ich habe bis halb eins gewartet, dann kam noch ein Anruf: ‚Heute hat das nicht geklappt. Wir versuchen das morgen.‘" Seitdem kein Anruf mehr vom Auswärtigen Amt. Seine Familie in Deutschland kann all das nur schwer begreifen, der Frust ist groß: "Ich bin wirklich sauer, wütend und enttäuscht, weil ich mir dachte: Wir leben hier in Deutschland, wir sind deutsche Staatsbürger", erzählt seine Tochter Mina Zu wenig Verständnis beim Auswärtigen Amt Sowohl Amin in Afghanistan als auch Familie und Freunde in Deutschland versuchen ununterbrochen, Hilfe zu organisieren, tätigen unzählige Anrufe bis ins Parlament und die Botschaft – doch ohne Erfolg. Es sei aber nicht nur die Hilfe, die fehle, schildert Mina. Man würde weder gehört, noch verstanden werden: Luftbrücke endet ohne Plan B Die Luftbrücke ist beendet, es werden keine Evakuierungsflüge mehr abheben. In den letzten Stunden vor Ende der Aktion erzählt uns Amin: "Es scheint so, als ob ich ignoriert wurde. Ich will niemandem eine Absicht unterstellen, aber ich bin ziemlich enttäuscht. Es müsste schon ein Wunder geschehen, dass man mich heute anruft und sagt: 'Nimm dein Rucksack und komm.' Darauf hoffe ich, aber das wird glaube ich nicht geschehen." Seinen Rucksack hat er trotzdem gepackt, ist jederzeit bereit. Auf die Frage, was er tun wird, wenn heute kein Wunder geschieht, sagt er: "Einen konkreten Tagesablauf habe ich nicht. Nur das Warten." Ob nach der Evakuierungsaktion wieder Linienflüge verkehren, ist noch völlig unklar. Amin befürchtet zudem, dass mögliche Sanktionen westlicher Staaten gegen Afghanistan auch die Airlines beeinträchtigen. Das mache es zunehmend schwerer, aus dem Land und zu seiner Familie zu kommen. Die letzte E-Mail vom Auswärtigen Amt erhielt er am Vorabend unseres Gespräches: "Die Lage sei weiterhin unsicher und unübersichtlich. Es sei daher ratsam, dass man weiter zu Hause bleibe. Die Bundesregierung arbeite weiter an ihren Plänen, schreiben sie." Ein bisschen Hoffnung bleibt Der 64-Jährige versuche, sich immer wieder selbst zu beruhigen und seiner Familie die Ängste zu nehmen. Und auch wenn er momentan keine Lösung sieht, die Hoffnung will er nicht ganz aufgeben Wenn man verzweifelt ist, ist man dazu gezwungen, Hoffnung zu haben. Wenn Hoffnung nicht da ist, hat man schon alles verloren.
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