Umwetter in Deutschland : Mittlerweile 143 Tote – Taucher suchen Vermisste
Samstag 17.Juli.2021 - 11:01
Langsam ziehen sich die Wassermassen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zurück. Sie hinterlassen ein Bild der Zerstörung. Fieberhaft sind die Rettungskräfte auf der Suche nach Vermissten. Insgesamt 143 Todesopfer wurden bisher gezählt. Und immer noch werden zahlreiche Menschen vermisst.
Frankfurter Rundschau :In Nordrhein-Westfalen sprach die Polizei mit Blick auf den Rhein-Sieg-Kreis und Euskirchen von einer „Großschadenslage“. Mithilfe von Tauchern suchten die Einsatzkräfte dort nach Vermissten. Im Raum Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis bezifferten die Behörden die Zahl der Vermissten mit 300. Im Kreis Euskirchen sei zudem der Verbleib von mehr als 70 Menschen ungeklärt. Doch die Lage sei vor allem wegen der unterbrochenen Telefonnetze nur schwer zu überblicken.
In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Toten im Zusammenhang mit der Unwetterkatastrophe auf 45 gestiegen. Das teilte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums am Samstagabend mit. Damit hat sich die Zahl der Todesopfer gegenüber Freitag um zwei erhöht.
Keine Toten wurden bislang bei der Bergung der Fahrzeuge auf der überfluteten Bundesstraße 265 bei Erftstadt gefunden, wie ein Sprecher des Rhein-Erft-Kreises berichtete. Bei der Überprüfung der insgesamt 28 Autos und Lastwagen, die von den Wassermassen überspült worden waren, kamen auch Taucher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zum Einsatz.
Bei den Hochwassereinsätzen in Nordrhein-Westfalen haben mindestens vier Feuerwehrleute ihr Leben verloren. Das teilte der Verband der Feuerwehren (VdF) am Samstag mit. Neben den beiden in Altena und Werdohl gestorbenen Männern seien zwei weitere Todesfälle gemeldet worden. In Nettersheim (Kreis Euskirchen) sei ein Feuerwehrangehöriger bei einem Rettungseinsatz ums Leben gekommen. Ein weiterer Feuerwehrangehöriger der Feuerwehr Rheinbach (Rhein-Sieg-Kreis) sei bei im Einsatz leblos aufgefunden worden und später im Krankenhaus gestorben.
Die Zahl der Todesopfer bei der Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen hat sich auf 141 erhöht. Im rheinland-pfälzischen Kreis Ahrweiler seien 98 Tote bestätigt, teilte die Polizei Koblenz am Samstagnachmittag mit. Aus Nordrhein-Westfalen wurden bislang 43 Opfer gemeldet.
Die Anzahl der Verletzten in Ahrweiler liege bei 670, fügte die Polizei Koblenz hinzu. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst.
Im Hochwassergebiet in Nordrhein-Westfalen besteht für das Gebiet rund um die Steinbachtalsperre weiterhin Überflutungsgefahr. Die Bezirksregierung Köln teilte am frühen Samstagnachmittag mit, dass der Absperrdamm an der Steinbachtalsperre noch versagen könnte. Große Teile des Damms seien durch Überströmung weggebrochen, gleichzeitig laste ein enorm hoher Druck auf dem Damm. Vorsorglich seien weitere Evakuierungen im Bereich der Talsperre geplant.
Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) pumpten auch am Samstag Wasser aus dem Stausee ab; am Freitagabend schon hatte der durch Geröll verstopfte Grundablass geöffnet werden können. Eine Entwarnung könne nach Experteneinschätzung allerdings erst bei einer Zweidrittel-Entleerung gegeben werden, warnte die Bezirksregierung am Samstag. Dies könnte „nach vorsichtiger Schätzung“ Sonntagnachmittag gegen 15:00 Uhr erreicht sein. Bis dahin bestehe weiterhin akute Dammbruchgefahr.
Die Polizei im nordrhein-westfälischen Euskirchen hat Neugierige davor gewarnt, in die Hochwassergebiete zu kommen. Zudem sollten Privatleute keine Drohnen über Einsatzgebieten von Polizei und Rettungsdienst fliegen lassen. „Sie behindern dadurch die Drohnen der Rettungskräfte!“, schrieb die Polizei, die unter anderem für das Gebiet an der bedrohten Steinbachtalsperre zuständig ist, auf Twitter. Zudem sei der Drohneneinsatz unzulässig und stelle eine Ordnungswidrigkeit dar.
Die Polizei will in den besonders schwer zugänglichen Regionen im Raum Ahrweiler mit Hubschraubern nach weiteren Opfern der Flut suchen. Das Gebiet werde in Sektoren eingeteilt, und es würden Luftaufnahmen gemacht, teilte die Polizei in Koblenz am Samstag mit. Die Sektoren würden dann von Einsatzkräften systematisch abgesucht. Die Suche soll Sonntagabend bis zum Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen sein. Über weitere Suchen werde dann entschieden.
In Kürze werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet im von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Gebiet südwestlich von Köln erwartet. Sie wollen sich vor Ort ein Bild von der aktuellen Lage machen und mit Rettungskräften, etwa in der Feuerwehrleitzentrale, sprechen. Die Bürgermeisterin des vom Unwetter stark getroffenen Ortes Erftstadt in Nordrhein-Westfalen, Carolin Weitzel, hat das Ausmaß der Zerstörung als „verheerend“ bezeichnet. Sie sei „sehr froh“, dass bislang keine Todesopfer gefunden worden seien, sagte sie am Samstag im Deutschlandfunk. Viele Hundert Menschen seien aber unmittelbar betroffen; sie benötigten jetzt unbürokratische und einfache Hilfe.
Am Samstagvormittag konnten Einsatzkräfte der Rettungsorganisationen und Bundeswehr nach Berichten der Tagesschau dank sinkender Pegelstände ihre Bergungsarbeiten fortsetzen. So kamen etwa auf einer Bundesstraße unweit von Erftstadt wieder Fahrzeuge zum Vorschein. Ob sich noch Menschen in den Fahrzeugen befänden, sei noch unklar. Nordrhein-Westfalens Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) befürchtet, dass der Region weitere schlechte Nachrichten bevorstehen könnten: „Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht“, hatte er am Freitag in Düsseldorf gesagt. Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es bis zum Samstagmittag aber keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem.
Skeptisch äußerte sich dort jedoch ein Kreissprecher: Da die Arbeiten der Rettungskräfte noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte er am Samstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei weiterhin angespannt. In Blessem südwestlich von Köln war es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein, es kam zu Gasaustritten.
Neben dem Westen Deutschlands sind auch die Regionen in den Nachbarländern schwer von den Überschwemmungen getroffen. Aus Belgien wurden bislang 27 Todesopfer gemeldet, auch in den Niederlanden wurden Teile der Grenzregion evakuiert.