Merkel hält besondere Unterstützung des Ostens immer noch für erforderlich
Freitag 09.Juli.2021 - 09:14
Die wirtschaftlichen Abstände zwischen Ost- und Westdeutschland sinken. Kanzlerin Merkel hält Unterstützung für den Osten aber weiterhin für sinnvoll. Für den Ostbeauftragten Wanderwitz liegt das Hauptproblem des Ostens woanders.
Berlin- Welt:Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält auch über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine besondere Unterstützung des Ostens für erforderlich. Auch in Zukunft blieben die meisten ostdeutschen Regionen ein Schwerpunkt der Regionalförderung des Bundes, sagte Merkel dem Magazin „Wirtschaft und Markt“ in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview.
Allerdings hätten sich die Unterschiede zwischen Ost und West so weit verringert, dass die besonderen Regeln für die neuen Länder zu einer gesamtdeutschen Unterstützung strukturschwacher Regionen umgewandelt werden konnten.
„Wir können große Fortschritte bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West sehen, denken wir zum Beispiel an die Grundrente, die gerade für die Menschen in den neuen Bundesländern wichtig ist“, sagte Merkel. Auch die Rentenangleichung sei weit fortgeschritten. In den Verhandlungen mit der EU zur mittelfristigen Finanzplanung bis 2027 sei zudem ein Ergebnis erzielt worden, das ein qualitatives Absinken der Fördermöglichkeiten für die neuen Länder verhindere.
Demgegenüber beklagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider eine Benachteiligung Ostdeutschlands nach 31 Jahren deutscher Einheit. „Die Innovations- und Improvisationsfähigkeit sind im Osten größer“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ vom Mittwoch. „Das müssen wir nutzen.“
Bei allen Entscheidungen, bei denen es um neue Technologien, Institutionen und Produkte gehe, wie etwa der Wasserstofftechnik, müsse ein Schwerpunkt im Osten gesetzt werden. Flächendeckend sei für den Osten das West-Niveau aber nicht in den nächsten 20 oder 30 Jahren erreichbar.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), stellte am Mittwoch den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Dem Bericht zufolge lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den neuen Ländern 2020 bei 77,9 Prozent des westdeutschen Niveaus – mit Berlin waren es 82,8 Prozent. 2010 hatte der Wert demnach noch bei 69,6 Prozent gelegen – beziehungsweise 74,2 Prozent mit Berlin.
Einige Regionen in den neuen Ländern hätten deutlich aufgeholt. „Von einer flächendeckenden Strukturschwäche kann nicht mehr gesprochen werden“, sagte Wanderwitz.
Wo wir allerdings noch deutliche Unterschiede weiterhin finden, sind die politischen Einstellungen der Menschen“, sagte der in Chemnitz geborene Wanderwitz. „Für die neuen Länder kennzeichnend ist eine im Vergleich zu den alten Ländern durchgängig skeptischere, distanziertere, und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik und Demokratie.“
So gebe es in Ostdeutschland ein „Gefühl der kollektiven Benachteiligung“. Allerdings sähen sich lediglich ein Drittel der Menschen als „Bürger zweiter Klasse“, in Westdeutschland hätten ein Viertel der Menschen dieses Gefühlt. Hier habe die Bundesregierung noch Arbeit vor sich. „Ein gesellschaftliches Auseinanderdriften können und dürfen wir nicht akzeptieren“, mahnte Wanderwitz.