MERKEL-VERTRAUTE IN DEN USA Endspiel um Nord Stream 2
Donnerstag 03.Juni.2021 - 11:42
Die Reise von Merkel-Vertrauten nach Washington ist der Auftakt zum Showdown um die Pipeline. Die Bundesregierung will das Projekt retten. Doch welchen Preis verlangt US-Präsident Biden? Deutschland ist bisher keinen einzigen Schritt auf ihn zugegangen.
Wie Welt berichtet : Es ist eine Premiere in mehrfacher Hinsicht, als der Lufthansa Flug LH 9290 aus Frankfurt/Main am Dienstag um 15.42 Uhr am internationalen Flughafen Washington Dulles landet: Erstmals seit der Covid-Epidemie besuchen gleich mehrere deutsche Spitzendiplomaten die amerikanische Hauptstadt. Erstmals will der Kreis um Angela Merkels außenpolitischen Berater Jan Hecker an diesem Mittwoch mit führenden Vertretern der Regierung von Präsident Joe Biden von Angesicht zu Angesicht über das strittige Thema Nord Stream 2 beraten.
An der Reise nehmen neben Hecker der Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin, Lars-Hendrik Röller, Staatssekretärin Antje Leendertse aus dem Auswärtigen Amt, sowie eine mehrköpfige Delegation teil. Zuerst hatte die Funke-Mediengruppe über den Besuch berichtet. Im Zentrum der bilateralen Gespräche steht am Mittwochmittag (Ortszeit) ein Spitzentreffen mit Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan in 1800 Foxhall Road – der Washingtoner Residenz der deutschen Botschafterin.
Daran sollen von deutscher Seite Hecker, Leendertse und die deutsche Botschafterin in den USA, Emily Haber, teilnehmen. In diesem kleinen Kreis dürfte Tacheles über die umstrittene deutsch-russische Ostsee-Pipeline geredet werden. Außerdem ist ein Termin zwischen Wirtschaftsberater Hecker und der US-Handelsbeauftragten Katherine Tai geplant, ein größeres Delegationsgespräch und Expertenbegegnungen. Bereits am Dienstagabend beriet die deutsche Seite miteinander.
Der Termin der deutsch-amerikanischen Gespräche ist alles andere als zufällig. In der kommenden Woche fliegt US-Präsident Biden nach Europa – es ist seine erste Auslandsreise seit Amtsantritt vor über vier Monaten. Gleich mehrfach wird er Kanzlerin Merkel treffen: zunächst beim G-7-Gipfel im britischen Cornwall, ein paar Tage später beim Nato-Gipfel sowie einer EU/USA-Spitzenbegegnung in Brüssel. Biden und Merkel dürften zu mindestens einem Vier-Augen-Gespräch zusammenkommen. Bei allen Nettigkeiten liegt das Thema Nord Stream 2 auf der Hand.
So liegt es nur allzu nahe, dass Berlin und Washington noch einmal über ihr langjähriges Streitthema reden. Auch wenn alle Positionen zu der 1200 Kilometer langen, fast fertiggestellten Ostsee-Pipeline längst ausgetauscht sind: Berlin will damit die Kapazitäten für russische Erdgaslieferungen nach Deutschland erhöhen und spricht von einem „wirtschaftlichen Projekt“. Washington warnt vor einer wachsenden Abhängigkeit Deutschlands von Russland und einer Brüskierung von Balten, Polen und Ukrainern. In der Sache argumentiert Biden („Ich bin seit Langem gegen Nord Stream 2“) wie sein Vorgänger Donald Trump.
Doch Biden geht mit Berlin konzilianter um als einst Trump. Das zeigte sich erst kürzlich, als seine Regierung auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 verzichtete. So hieß es in einem im Mai bekannt gewordenen Bericht von US-Außenminister Antony Blinken an den Kongress, der Verzicht auf Strafmaßnahmen gegen die Nord Stream 2 AG im schweizerischen Zug, deren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig sowie vier weitere Mitarbeiter sei im „nationalen Interesse“ der USA. Begründung: Solche Sanktionen beeinflussten „die US-Beziehungen mit Deutschland, der EU und anderen europäischen Verbündeten und Partnern“ negativ.