Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
ad a b
ad ad ad

Deutschland ist der Herausforderung durch Putins Russland nicht gewachsen

Freitag 30.April.2021 - 10:48
Die Referenz
طباعة
Die deutsche Außenpolitik blickt ratlos auf ein nach innen autoritärer und nach außen aggressiver auftretendes Russland. Ein Kommentar. Wie der Tagesspiegel berichtet :Die Geschichte, die ein Schlaglicht auf das skrupellose Vorgehen russischer Geheimdienste mitten in Europa wirft, beginnt 2014 in einem tschechischen Wald. Offiziere von Moskaus Militärgeheimdienst GRU verüben einen Anschlag auf ein Munitionsdepot, zwei Menschen werden getötet. Ziel ist es offenbar, eine Waffenlieferung an die Ukraine zu verhindern. Sechs Monate später wird der bulgarische Waffenhändler, der für den Deal verantwortlich ist, in Sofia selbst Ziel eines Anschlags, durch Gift auf dem Türgriff seines Autos. Auch hier führt die Spur nach Moskau. Zwei der Männer die den Anschlag in Tschechien verübt haben sollen, erlangen 2018 zweifelhafte Berühmtheit: Im britischen Salisbury versuchen sie den russischen Ex-Spion Skripal mit Nowitschok zu ermorden. Doch als Tschechien den ungeheuerlichen Vorgang publik machte, schien das in Deutschland kaum jemanden zu interessieren. Das politische Berlin war wieder einmal mit sich selbst beschäftigt, die Soap Opera um die K-Frage in der Union überlagerte alles andere. Erst vier Tage nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe versicherte die Kanzlerin dem tschechischen Regierungschef Solidarität. Leider blieb völlig offen, was das in der Praxis bedeutet. Andere europäische Staaten hatten sich den Tschechen angeschlossen und Mitarbeiter russischer Botschaften zu unerwünschten Personen erklärt. Deutsche Regierungsvertreter machten dagegen hinter den Kulissen deutlich, dass sie von solchen Ausweisungen wenig halten. Oft ist die Ausweisung von Diplomaten nur eine symbolische Geste. In diesem Fall wäre sie aber mehr als begründet. Denn auf das Konto russischer Geheimdienste gehen zahlreiche Angriffe innerhalb der EU, von Hackerattacken, auch auf den Bundestag, bis hin zu einer Reihe politischer Morde, darunter die tödlichen Schüsse auf einen Georgier in Berlin. Die Tat in Tschechien ist ein weiteres schockierendes Beispiel. Wäre es da nicht folgerichtig, einige der russischen Geheimdienstler nach Hause zu schicken, die an Moskaus Botschaften in der EU als Diplomaten akkreditiert sind? Für eine solche Reaktion sprach sich nun das EU-Parlament aus. Doch wenn Deutschland zögert, wird es wohl nichts mit einer gemeinsamen europäischen Antwort. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein deutscher Regierungsvertreter wieder betonen wird, man dürfe „den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen“. Dieser Satz ist in der Russlandpolitik der großen Koalition eine Art Mantra geworden. Dabei gibt es wenige Länder, mit denen die Bundesregierung in den vergangenen Jahren auf verschiedenen Ebenen so viele Gespräche geführt hat. Der deutschen Russlandpolitik fehlt es nicht an Kontakten und Gesprächskanälen, sondern an einer Idee, wie man mit einem nach innen immer autoritärer und nach außen aggressiver auftretenden Russland umgehen kann. Hinter dem reflexhaften Ruf nach Dialog verbirgt sich eine irritierende Sprachlosigkeit. Das beste Beispiel dafür ist die deutsche Vermittlerrolle im Ukraine-Konflikt. Der Kanzlerin und dem französischen Präsidenten gelang es 2014, mit einer Mischung aus Verhandlungen und Sanktionen den Vormarsch der von Russland kontrollierten Kräfte in der Ostukraine zu stoppen. Doch seit mehreren Jahren sind die Bemühungen um eine Friedenslösung in einer Sackgasse. Die Deutschen rufen immer wieder beide Seiten zur Deeskalation auf, obwohl es in erster Linie der Kreml ist, der den Konflikt am Laufen hält. Die Appelle zur Einhaltung der Minsker Vereinbarungen sind zur Floskel erstarrt. Mit dem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und auf der annektierten Krim hat Putin bewiesen, dass er den Konflikt jederzeit eskalieren kann. Der nun angekündigte Rückzug ist weniger den mahnenden Worten aus Berlin als einer deutlichen Ansage aus Washington zu verdanken. Hinter den Kulissen drohten die Amerikaner offenbar Konsequenzen für den Fall eines russischen Einmarsches an, während US-Präsident Biden zugleich ein Gipfeltreffen mit Putin in Aussicht stellte. Kein Wunder, dass die Ukrainer hoffen, die USA könnten sich angesichts des Versagens der europäischen Vermittler in die Friedensbemühungen einschalten. Auch die deutsche Rolle im Fall Nawalny ist weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint. Nach der Vergiftung des russischen Oppositionsführers wurde die Bundesregierung zur Retterin wider Willen. In diese Rolle war sie hineingedrängt worden, weil eine private Organisation Nawalny nach Deutschland brachte. Merkel verlangte in ungewöhnlich deutlichen Worten von Russland eine Aufklärung des Anschlags. Doch letztlich war die Bundesregierung nicht bereit, das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu stoppen, nicht einmal vorläufig. Damit schwächt Deutschland auch eine einheitliche europäische Sanktionspolitik.
"