Wird es den Juristen gelingen, Merkels Plan zu scheitern ?
Donnerstag 15.April.2021 - 09:51
Ausgangssperren ab der 100er-Inzidenz sind das Kernstück des neuen Lockdown-Bundesgesetzes. Doch sie sind juristisch umstritten. Die Wut auf das Kanzleramt wächst.
Berlin - tagesspiegel :Die Kanzlerin hat am 28. März ein Versprechen abgegeben; vor fünf Millionen Zuschauern. Ich werde nicht tatenlos noch vierzehn, sagte Angela Merkel bei „Anne Will“. Und kündigte nach dem Scheitern des von ihr nicht durchdachten Osterlockdowns ein Anfassen des Infektionsschutzgesetzes an. Um alle 16 Bundesländer zu mehr Einheitlichkeit bei der Bekämpfung der dritten Corona-Welle zu zwingen.
Merkel schaute in der Tat nicht 14 Tage zu, aber das Ergebnis des Handelns wird für das Kanzleramt zu einem immer größeren Problem. Denn gerade der Aufreger Ausgangssperren von 21 Uhr bis 5 Uhr ab einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen könnte Merkel auf die Füße fallen.
Wenn noch einmal ein Pandemiebekämpfungsprojekt von ihr vor die Wand fahre, so ein Unions-Abgeordneter, dann drohe unabhängig vom Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet und Markus Söder ein Abstrafen der Union bei der Bundestagswahl im September.
Dem Tagesspiegel liegt zum Beispiel die Stellungnahme des CDU-regierten Hessens vor. Es ist eine Klatsche für das Kanzleramt. „Die vollständige Außerachtlassung weiterer Kriterien neben der Inzidenz (insbesondere Impfstatus, Hospitalisierungsrate/Intensivbettenauslastung, Reproduktionszahl, die Quote der Positiv-Testungen, Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung) stellen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage“, wird mit Blick auf Ausgangssperren betont.
Damit stehe die Regelung auch in einem Widerspruch zu dem unlängst erst eingefügten § 28a Abs. 3 Satz 12 des Infektionsschutzgesetzes, in dem es heißt: „Bei der Prüfung der Aufhebung oder Einschränkung der Schutzmaßnahmen (….) sind insbesondere auch die Anzahl der gegen COVID-19 geimpften Personen und die zeitabhängige Reproduktionszahl zu berücksichtigen.“
Die Verengung auf eine einzige Tatbestandsvoraussetzung wiege umso schwerer, als diese nunmehr gesetzlich festgeschrieben werden solle. „Jedoch könnten insbesondere bei einer höheren Impfquote gegebenfalls auch höhere Inzidenzen hingenommen werden.
Auch können durch den massenhaften Einsatz von Tests die Inzidenzzahlen steigen, ohne dass dies Auswirkungen auf die Belastung des Gesundheitssystems hätte.“ Zudem fehle dem Gesetzentwurf eine Ausnahmeregelung für Fälle, in denen ein eng umgrenztes Infektionsgeschehen (etwa in einzelnen Einrichtungen) zur einer Überschreitung des Schwellenwertes in einer ganzen Region führe, wird in der Stellungnahme betont.
Und so droht auch Merkels zweiter Anlauf für Verschärfungen nicht einfach so durchzugehen. Am Freitag berät der Bundestag in erster Lesung den Entwurf, dann folgen kurze Fachberatungen und am Mittwoch sollen bereits Bundestag und Bundesrat final entscheiden. Doch nach einem „Bild“-Bericht zweifeln selbst Juristen im Kanzleramt wichtige Bauteile der bundesweiten, verpflichtenden Corona-Bremse an.
In einem Vermerk an Kanzleramtschef Helge Braun (48) habe eine Juristin aus dem Gesundheitsreferat schon frühzeitig gewarnt, dass der „rein inzidenzbasierte Maßstab“, der die Notbremsen auslöse, „angreifbar“ sei. Auch automatische Schließungen von Kitas und Schulen bei einer Inzidenz von 200 seien besonders problematisch und widersprächen dem Recht auf Bildung.
Und die Beschränkung der Anzahl zulässiger Kunden für eine bestimmte Quadratmeterzahl im Einzelhandel sei bereits mehrfach gerichtlich beanstandet worden. Ein Regierungssprecher gibt sich schmallippig bei der Frage, ob es jetzt Nachbesserungen geben müsse: „Zu solchen internen Vorgängen, insbesondere im Zusammenhang mit noch im laufenden parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetzgebungsvorhaben, nimmt die Bundesregierung daher keine Stellung“.