Die christliche Prägung der Bundeskanzlerin
„So
wahr mir Gott helfe …“ Mit einer festen Stimme hat Frau Merkel am 22. November
2005 im Deutschen Bundestag ihren Amtseid geschworen. Im Fernseher hat die
ganze Nation ihre Amtseid verfolgt, als auch Freunde die auf der
Besuchertribüne anwesend waren. Die CDU-Politikerin bekennt sich damit
öffentlich zu ihrem Glauben. Ihr Vorgänger, Bundeskanzler Gerhard Schröder(SPD),
hatte den Eid ohne Gottesformel gesprochen.
Merkel
wuchs in einem Pfarrhaus auf, da erscheint ein offensives Bekenntnis zum
christlichen Glauben vielen selbstverständlich. Sie selbst allerdings hat der
Fotografin Herlinde Koelbl mal ziemlich direkt erklärt, dass ein Mensch
natürlich „nicht dadurch gläubig wird, dass er in einem Pfarrhaus aufwächst“.
Logisch. Der Sohn eines Fußballtrainers muss ja auch nicht von Hause aus der
Super-Kicker sein.
Merkel
schmettert Kirchenlieder
Das mit
dem offensiven Bekenntnis zum Glauben jedenfalls war für Merkel lange eine
Sache für sich. Nach den Adventsfeiern der Unionsfraktion war – alle Jahre
wieder – zu hören, dass die Kanzlerin besonders inbrünstig und ausgesprochen
textsicher beim „Macht hoch die Tür‘“ mitgeschmettert habe. In Zeiten vor der
Pandemie jedenfalls. Die christliche Kultur ist ihr vertraut. Als ein
spitzfindiger Journalist aber die frühe Merkel um die Jahrtausende fragte
„Beten Sie?“ und damit ungeschickterweise auch noch in das Interview einstieg,
ging die Raumtemperatur gleich gefühlt um zehn Grad runter. Merkel reagierte
abwehrend.
Für sie
war ihr Glaube lange kein Thema. Jedenfalls kein öffentliches. In ihrer
Anfangszeit als CDU-Vorsitzende stand Merkel denn auch bei einzelnen
Parteifreunden ein bisschen unter Abweichler-Verdacht. Sollte ausgerechnet die
Nr. 1 einer C-Partei ein Problem haben mit dem hohen C? Die Gretchen-Frage –
„Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" – wurde von der
Parteivorsitzenden bisweilen mit einem unausgesprochenen „Sag‘ ich nicht“
beantwortet. Schweigen.
Religionszugehörigkeit als bloßes Etikett ist
es erkennbar nicht, was Merkel interessiert. Wenn, dann geht es ihr offenkundig
um eine Religiosität, die den Unterschied macht. „Leben nicht schon die meisten
Menschen in unserem Land und in Europa“, hat sie vor 15 Jahren beim
evangelischen Kirchentag gefragt, „längst so, als wenn Gott abwesend wäre?“ Die
Antwort konnte sich dann jeder und jede selbst geben.
An
guten Tagen ist der Glaube schwächer
Sie neige
dazu, „an guten Tagen weniger zu glauben als an schlechten“, hat die junge
Angela Merkel der Fotografin Koelbl anvertraut. Es entlaste sie, dass der
Mensch „sündigen darf und ihm dies vergeben wird“.
Vor sechs
Jahren sprach Merkel in der Maria-Magdalenen-Kirche in ihrer alten Gemeinde in
Templin oben auf der Kanzel über Christsein und Politik. Wie sie sich dort
fühlte? „Ich fühl' mich an der falschen Stelle“, antwortete sie.
Merkel meinte damit – so darf man annehmen – nicht nur den Platz am Mikro,
sondern auch die Rolle. Religion ist für sie am Ende etwas zutiefst Persönliches.
Und über diesen ganz persönlichen Kern – da hat sich im Laufe der Jahre wenig
geändert - spricht sie kaum.