Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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2021 ENDET DIE ÄRA MERKEL CORONA IST IHR FINALE

Samstag 26.Dezember.2020 - 11:53
Die Referenz
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Berlin - Spiegel - Mit der Wahl im September verabschiedet sich Angela Merkel, nach 16 Jahren. Corona sorgte für das Comeback der Krisenkanzlerin, das Virus wird die letzten Monate ihrer Amtszeit bestimmen. Und was kommt dann?
Dieses Jahr war hart, es hat unendlich viel Kraft gekostet, das ist der Kanzlerin bei ihren letzten Auftritten deutlich anzusehen. Und das will bei Angela Merkel etwas heißen. Ihr Nimbus speist sich auch aus der Annahme beinahe übermenschlicher Reserven: Wenn ihre Verhandlungspartner nach stundenlangen Runden einnicken, ist Merkel noch voll da, wenn die anderen noch schlafen, ist sie schon wieder wach. Dieser Ruf hat ihre lange Kanzlerschaft geformt.
Aber Angela Merkel, 66, ist eben doch nur ein Mensch. Und wenn die Nation wegen Corona auf dem Zahnfleisch geht, gilt das irgendwann auch für die oberste Krisenmanagerin des Landes.

Das ist die Lage, neun Monate vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft. Mit der Bundestagswahl am 26. September ist unwiderruflich Schluss für die CDU-Politikerin Angela Merkel. Sie wird dann fast 16 Jahre lang regiert haben, nur ein paar Monate weniger als Rekordkanzler Helmut Kohl, ihr einstiger Förderer. Das Ende einer Ära steht an.

Die größte Belastung und Herausforderung in Merkels langer Karriere hat sie ironischerweise so populär gemacht wie selten zuvor: Ihr Ansehen bei den Wählern ist zum Ende des Corona-Jahres ungebrochen hoch, das zeigen aktuelle Umfragen. Die große Mehrheit der Bürger vertraut der Kanzlerin im Kampf gegen die Pandemie. Die Krise ist die Stunde der Exekutive – und Merkel bislang ihre größte Gewinnerin.
Dabei wird die Erfolgsgeschichte zunehmend infrage gestellt: Hat die Kanzlerin Deutschland wirklich so gut durch die Krise gebracht? Die Zahlen sprechen im Vergleich zu anderen großen europäischen Ländern immer noch dafür, nicht nur die Virusindikatoren, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmendaten.

Doch so glimpflich wie noch durch die erste Welle kommt Deutschland durch die zweite keineswegs mehr. Hunderte Corona-Tote pro Tag? Die Kanzlerin selbst drückt ihr Entsetzen darüber zu nahezu jeder Gelegenheit aus.

So flehentlich wie neulich im Bundestag hat man Merkel selten erlebt – auch nicht so emotional: »Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben!« Ihre Stimme klang brüchig wie nie. Und die Kanzlerin weiß, dass immer neue Hilfen, um die Volkswirtschaft am Laufen zu halten, inzwischen selbst die ehemals üppigen Staatsfinanzen überfordern.
In ihre letzte Jahreswende im Amt geht Merkel also als eine mitgenommene Kanzlerin, die sich trotzdem viele gar nicht mehr wegdenken wollen, je näher der Abschied rückt. Die Merkel-müde Vor-Corona-Zeit, in der ständig darüber debattiert wurde, wann die Regierung zerbricht, vorzeitige Bundestagswahlen stattfinden und damit auch die Kanzlerin rascher gehen muss als geplant, sie scheint Lichtjahre entfernt.
Andererseits wird immer klarer, dass der Umgang mit dieser Krise Merkels Kanzlerschaft definieren wird. Der Kampf gegen das Virus stellt alles in den Schatten – und Krisen hat Merkel zur Genüge zu bewältigen gehabt: Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise. Die laufende EU-Ratspräsidentschaft, geplant als eine Art Höhepunkt ihrer Kanzlerschaft, die Anstrengungen für eine neue Politik gegenüber China? Verblasst hinter Corona. Zum ersten Mal als Kanzlerin wandte sich Merkel 2020 jenseits ihrer Neujahrsansprache per TV-Ansprache ans Volk, mit einer »Blut-Schweiß-und-Trost-Rede«, wie es die SPIEGEL-Kollegin Christiane Hoffmann formuliert.
Dabei hat die Kanzlerin in den vergangenen Monaten erkennen müssen, wie gering ihr Einfluss als Krisenmanagerin oftmals ist – und wie groß damit die Diskrepanz zur öffentlichen Zufriedenheit. Mit jeder Sitzung der Ministerpräsidentenkonferenz wurde im Verlauf der vergangenen Monate deutlicher, wie viel die Regierungschefs der 16 Bundesländer mitreden beim Krisenmanagement.

Merkels Autorität, selbst in den Unionsreihen, ist deutlich geschrumpft. Dass sie am Ende mit all ihren Mahnungen und Warnungen Recht behalten sollte gegenüber den zögerlichen Länderchefs, mehr noch, es sogar schlimmer kam, als sie befürchtete – verschafft Merkel keine Genugtuung, dafür ist die Lage zu ernst.

Die Regierungschefin entfernt sich derweil immer weiter von ihrer Partei. Eine »Kanzlerpräsidentin« nennt sie der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Aktuell färbt Merkels Popularität auch auf CDU und CSU ab. Sollte sie bis zur Bundestagswahl so beliebt bleiben, können die Unionsparteien – egal mit welchem Kanzlerkandidaten – womöglich davon profitieren.

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