Schluss mit der Zauderei Bundesländer ziehen Merkels Corona-Notbremse
Dienstag 15.Dezember.2020 - 01:24
Berlin - t-online - Öffentliche Triumphe sind nicht Angela Merkels Sache – schon gar nicht in der Corona-Krise. Als die Kanzlerin am Sonntagmittag nach dem nur etwa einstündigen Krisentelefonat mit den Länderchefs vor die Kameras tritt, analysiert sie die Lage in der ihr eigenen Sachlichkeit: "Es ist heute wirklich nicht der Tag, jetzt zurückzublicken oder irgendwie zu fragen, was wäre gewesen, wenn. Sondern es ist der Tag, das Notwendige zu tun." Keine Vorwürfe, kein Nachtreten. Dabei waren die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten in den vergangenen Monaten nicht immer ein Herz und eine Seele.
"Staat ist handlungsfähig"
Das Notwendige tun – das klingt schon ein wenig wie ein Basta, das man von Merkel sonst so überhaupt nicht gewohnt ist. Sie sei "sehr einverstanden" mit den getroffenen Maßnahmen, die in großer Ernsthaftigkeit in den vergangenen drei Tagen miteinander vorbereitet worden seien, sagt die Kanzlerin. "Das zeigt, dass unser Staat, bestehend aus Bund und Ländern, handlungsfähig ist."
Trotz Merkels Zurückhaltung sprechen die drastischen Beschlüsse zum bundesweiten Lockdown eine eindeutige Sprache: Nach Wochen und Monaten der Eigenbrötlerei, des Zögerns und Zauderns ziehen die Länder nun in seltener Einigkeit mit Merkel die Notbremse. Damit handeln die Ministerpräsidenten nun bundesweit so, wie die CDU Politikerin es zuvor so oft vergebens gefordert hat.
Müller muss Landeschefs verteidigen
Ob denn die Kanzlerin nun Recht behalten habe mit ihren Mahnungen? So wirklich wollen sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ( SPD ) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ( CSU ) beim Auftritt mit der Kanzlerin zu dieser Frage lieber nicht äußern. Obwohl Merkel mit keiner Silbe Kritik äußert, sieht sich Müller – derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz – direkt nach dem Statement der Kanzlerin genötigt, das föderale Tauziehen zu verteidigen.
Niemand kannte den Weg, der alle Probleme gelöst hätte", sagt Müller. Alle Ministerpräsidenten seien sich immer über den Ernst der Lage bewusst gewesen. Bei allen Entscheidungen, die "immer wieder nachgeschärft" worden seien, habe aber auch bedacht werden müssen, dass die Menschen und alle betroffenen Unternehmen, Schulen und auch der Handel Zeit bräuchten, sich darauf einzustellen.
Wenige Abweichungen von bundesweiter Linie
Zur Wahrheit gehört, dass die Infektionszahlen in praktisch ganz Deutschland aus dem Ruder laufen: Seit Tagen muss das Robert Koch-Institut fast täglich neue Höchststände vermelden. Auch die Todeszahlen schnellen in die Höhe, nach 598 am Freitag sind es an diesem Sonntag noch immer 321 .
Und so kommt es nun kurz vor Weihnachten genau zu jener Zumutung, welche viele Ministerpräsidenten so lange gescheut haben. Nicht erst ab Weihnachten, sondern schon von kommendem Mittwoch, 16. Dezember, an wird in ganz Deutschland das öffentliche Leben ausgebremst. Wie in der ersten Corona-Welle im Frühjahr müssen Handel und Dienstleister schließen – außer bei den Dingen für den täglichen Bedarf. Schulen und Kitas gehen fast überall in den Notbetrieb, Ferien werden verlängert. Einzig über die drei Weihnachtstage sollen in den meisten Bundesländern die harten Maßnahmen zumindest für familiäre Feiern gelockert werden.
Hilfen für die Wirtschaft
Der Wirtschaft soll der Gang in den Lockdown mit milliardenschweren Staatshilfen erleichtert werden, wie Bundesfinanzminister Olaf Schulz (SPD) erklärt: Pro Monat stünden zusätzliche Hilfen in Höhe von elf Milliarden Euro bereit. Zwar seien die Maßnahmen hart, aber sie seien auch erforderlich: "Das Virus macht keine Ferien", sagt er trocken. Die Maßnahmen sind erstmal bis zum 10. Januar befristet, fünf Tage vorher wollen Merkel und die Länderchefs beraten, wie es weitergeht.
Anders als in früheren Sitzungen zeigten sich die Teilnehmer der Telefonkonferenz diesmal nach übereinstimmenden Angaben wenig streitfreudig. Kaum Wortmeldungen habe es gegeben. Das dürfte nicht nur der schwierigen Lage, sondern der Vorbereitung geschuldet sein – und einer wohl recht klaren Ansage aus dem Kanzleramt.
Druck aus dem Kanzleramt
Schon am Mittwoch hatte Merkel in einem bemerkenswert emotionalen Auftritt im Bundestag klar gemacht, wie ernst ihr die Lage erscheint. "Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben. Das sollten wir nicht tun", hatte sie ins Parlament gerufen.
Bei den direkten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern soll dann nochmals Klartext gesprochen worden sein. Das Kanzleramt, so ist zu hören, soll deutlich gemacht haben: Solange es keine ausreichende Bereitschaft für das Notwendige gebe, solange werde Merkel auch keiner neuen Runde mit den Ministerpräsidenten zustimmen. Zu oft hat die Kanzlerin erleben müssen, dass ihre Forderungen herunter gehandelt wurden, weil es hohen Einigungsdruck gab und keine Seite die Verhandlungen platzen lassen wollte. Das sollte nicht noch mal passieren.
Reicht der Lockdown?
Merkel soll sich am Samstag unter anderem mit Söder, Müller und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) besprochen haben.
Zwischen Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und den Staatskanzleichefs gab es einen regelrechten Vorbereitungsmarathon.
Anders als in der Vergangenheit wuchs die Zahl der Unterstützer eines harten Kurses schon vor der Konferenz stetig an:Armin Laschet (CDU) aus NRW,Winfried Kretschmann (Grüne) aus Baden - Württemberg , Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, Markus Söder (CSU) aus Bayern – sie alle gingen verbal und teils mit eigenen Länder-Beschlüssen in Vorleistung für den bundesweiten Lockdown.
Bleibt nun die Frage, ob der Lockdown reicht. Zwar würden die Zahlen nun zunächst noch für "an die zehn Tage" weiter steigen, weil die Infektionen, die dann nachgewiesen würden, ja bereits stattgefunden haben, sagt Merkel. Trotzdem könne wegen der Erfahrungen mit dem Lockdown aus dem Frühjahr und den Erkenntnissen in anderen Ländern damit gerechnet werden, dass die nun beschlossenen Maßnahmen die Kontakte und damit auch die Ansteckungen reduzierten.