Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Das wahre Ziel hinter Erdogans angeblichen Gasfund.. Dahinter steckt politische Propaganda

Sonntag 23.August.2020 - 09:26
Die Referenz
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In der Türkei wächst die Unzufriedenheit mit Präsident Erdogan. Der Wirtschaft geht es schlecht, seine Umfragewerte sinken. Religiöse Rhetorik gehört zum Standardrepertoire des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. In dieser Woche bediente er sich – bewusst oder unbewusst – sogar beim Christentum. Erdogan sprach von einer „frohen Botschaft“, die er am Freitag verkünden wolle, und griff dabei auf einen zentralen christlichen Begriff zurück. Die Wortwahl darf nicht als Zeichen interreligiöser Verbundenheit missverstanden werden. Denn in dem Bereich setzt die Regierung neuerdings auf Konfrontation. So wurde am Freitagmorgen bekannt, dass die berühmte Chora-Kirche in Istanbul auf Anweisung der Religionsbehörde Diyanet jetzt als Moschee zum Beten freigegeben sei – wie vor ein paar Wochen die Hagia Sophia. Erdogans messianische Ankündigung hatte also nichts mit Religion zu tun, sondern zunächst mit Geld: Die türkische Währung Lira, die momentan fast täglich an Wert verliert, stabilisierte sich in Reaktion auf die Ankündigung für zwei Tage. Erdogan-nahe Unternehmen verzeichneten sogar Gewinne. Bevor der Staatspräsident am Freitag vor die Kameras trat, ging er noch zum Mittagsgebet – in die für Muslime weltweit wichtige Eyüp-Sultan-Moschee in Istanbul. An diesem Ort beteten schon im Osmanischen Reich die Sultane, ehe sie in den Krieg zogen. Erdogan kündigte nach dem Gebet aber keine militärische Operation an, sondern prahlte gleich mit der Siegesnachricht: „Mein Gott hat uns eine Tür von beispiellosem Reichtum geöffnet!“ Damit meint er ein Gasfeld im Schwarzen Meer, das schon 2004 gefunden wurde. Damit werde die Türkei unabhängiger vom Ausland werden, sagte Erdogan. Dahinter steckt politische Propaganda Nach Einschätzung des bekannten türkischen Journalisten Murat Yetkin könnte die Türkei noch eine weitere Strategie verfolgen: „Wenn die ‚frohe Botschaft‘ Erdgas im Schwarzen Meer ist, wird dann auch gesagt, dass man den Istanbul-Kanal nun aufgrund des Tankerverkehrs benötige?“, fragte er bei Twitter. Auch Beobachter aus Ankara vermuten hinter der „frohen Botschaft“ Propaganda für die Durchsetzung des umstrittenen Bauprojekts, durch das mitten in Istanbul eine Art zweiter Bosporus geschaffen werden soll. Erdogan verlor dazu am Freitag hingehen kein Wort. Dafür gab er konkrete Zahlen zur Größe des neuesten türkischen Reichtums: „Unser Bohrschiff ,Fatih‘ hat 320 Milliarden Kubikmeter Erdgasreserven entdeckt. Hoffentlich wird es noch mehr geben.“ Ob die Zahlen stimmen, ist schwer einzuschätzen. Der Energieexperte Ilias Tsagas von der Greenwich-Universität in London mahnt zur Vorsicht: „Ich würde eher einem großen Unternehmen trauen als einem zwielichtigen Politiker.“ Erdgas komme weltweit in vielen Gegenden vor, doch es stecke oft sehr tief im Boden, was eine Förderung extrem teuer mache. Um also mit dem neuen Gasfeld Geld zu machen, muss der türkische Staat, der seit etwa zwei Jahren knapp bei Kasse ist, erst einmal welches in die Hand nehmen. Außerdem ist gar nicht klar, ob die Türkei im Schwarzen Meer überhaupt bohren darf. Anrainerstaaten wie Rumänien, Bulgarien und vor allem Russland dürften ein Wörtchen mitreden wollen. Auch die USA sind indirekt vertreten: Der US-Konzern Exxon hat Rechte an dem von Erdogan beanspruchten Gebiet. Dessen ungeachtet kündigte Erdogan an, „sofort“ anzufangen: „Ziel ist es, unser Land im Jahr 2023 mit Schwarzmeergas zu versorgen.“ Das ist eine patriotische Ankündigung, denn 2023 begeht die Republik ihren 100. Geburtstag. Und den möchte Erdogan als Staatspräsident feiern. Das Jubiläumsjahr ist schon lange seine magische Ziellinie. Um es so weit zu schaffen, muss er sich aber etwas einfallen lassen. Erdogan will Zeit gewinnen Seine Umfragewerte und die seiner Partei AKP sinken seit Wochen, die Wirtschaft verschlechtert sich fast konstant und immer mehr Menschen im Land, im Staat und in der Regierung sind unzufrieden mit Erdogan. Um Zeit zu gewinnen, kommen „frohe Botschaften“ wie die vom Gasfund gerade recht. Die Ankündigung setzt die Ablenkungsstrategie fort, zu der auch die Umwandlung der Hagia Sophia und die Militärmanöver in der Ägäis zählen. Bis 2023 ist aber noch viel Zeit. Vielleicht mehr, als Erdogan noch an Ablenkungsmanövern bleiben. 
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