Bundesregierung besorgt über viele Neuinfektionen und Ängste der Lehrerinnen
Mittwoch 12.August.2020 - 11:14
Viele Lehrer sehen mit Anspannung dem Schulbetrieb nach den Sommerferien entgegen - wegen mangelnder Vorbereitung auf Corona. Eine Bildungsforscherin fordert nun einen Plan B für Schulen.
Etwa ein Drittel der Ansteckungen entsteht durch Einreisende aus dem Ausland. Bundesgesundheitsminister Spahn und Regierungssprecher Seibert mahnen zur Wachsamkeit.
Die Bundesregierung warnt angesichts steigender Corona-Infektionszahlen vor nachlassender Wachsamkeit. "Ich will für die Bundesregierung sagen, dass die Entwicklung dieser Zahlen uns Sorgen macht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch. Er verwies darauf, dass die Infektionen sich im ganzen Land verbreiteten und nicht nur an einzelnen Punkten. Es sei auch bemerkenswert, dass deutlich mehr Jüngere unter den Infizierten seien, die mobil seien und das Virus schnell weitertragen könnten. "Wenn wir jetzt nicht alle aufpassen und wachsam sind, dann kann dieses Geschehen noch eine ganz eigene Dynamik entfalten." Derzeit sei das Gesundheitssystem gut vorbereitet. "Aber wir müssen eine Verschärfung der Situation vermeiden."
Das Robert Koch-Institut hatte am Mittwoch 1.226 Neuinfektionen vermeldet. Ein höherer Wert war zuletzt am 9. Mai verzeichnet worden. Der Höhepunkt der gemeldeten Neuinfektionen hatte Anfang April bei mehr als 6.000 gelegen, danach war die Zahl in der Tendenz gesunken. Seit Ende Juli steigt sie wieder. Besonders betroffen sind derzeit Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Mediziner und Virologinnen fürchten, dass ein starker Anstieg der Infektionsfälle die Gesundheitsämter überfordern könnte. Deren Aufgabe ist es, die Ansteckungsketten zu verfolgen.
Mehrere Politiker reagierten alarmiert auf die neuen Zahlen und mahnten, die Hygieneregeln einzuhalten, also vor allem Abstand zu halten und Masken zu tragen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte den Trend besorgniserregend. Es gelte, sehr wachsam zu sein, vor allem, weil es viele Ausbrüche im ganzen Land gebe, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Reisen und Partys
Spahn sagte, in fast allen Regionen gebe es kleinere und größere Ausbrüche, "durch Reiserückkehr, aber eben auch durch Partys aller Art, durch Familienfeiern". Noch könne das Gesundheitssystem die Infektionszahlen gut bewältigen. "Sehr zurückhaltend" sei er weiter bei Großveranstaltungen und Fußballspielen vor Zuschauern, auch weil diese Symbolwirkung für kleinere Zusammenkünfte hätten.
Laut Robert Koch-Institut ist derzeit etwa jede dritte Corona-Neuinfektion auf Reiserückkehrer und andere Einreisende aus dem Ausland zurückzuführen: Im Situationsbericht des Instituts heißt es, ihr Anteil sei mit den Grenzöffnungen deutlich gestiegen und habe in der Meldewoche vom 3. bis 9. August bei 31 Prozent gelegen. Als wahrscheinlicher Infektionsort am häufigsten genannt wurden in den vergangenen vier Wochen Länder des Westbalkans, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Polen und Spanien.
Schulstart in NRW
Experten und Behörden beobachten auch die Entwicklung an den Schulen gespannt. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind die Sommerferien zu Ende – damit gehen rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche an 5.500 Schulen nun wieder regulär zum Unterricht. Alle Schüler der weiterführenden und berufsbildenden Schulen müssen in NRW auch an ihrem Platz in der Klasse einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Eine solche Anordnung gibt es sonst flächendeckend in keinem Bundesland, aber an einzelnen Schulen in anderen Ländern.
Mehrere Bundesländer verschärften angesichts der steigenden Infektionszahlen ihre Corona-Regeln. In Berlin etwa sollen 240 zusätzliche Mitarbeiter der Ordnungsämter darauf achten, dass die Auflagen eingehalten werden. Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen haben die Bußgelder erhöht, die bei Regelverstößen drohen. Auch Reiserückkehrer aus Risikogebieten sollen stärker kontrolliert werden.
Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa halten etwas mehr als zwei Drittel der befragten Deutschen die Schutzmaßnahmen der Regierungen in Bund und Ländern für "absolut notwendig". 10 Prozent halten die Schutzmaßnahmen aus unterschiedlichen Gründen für überflüssig. Weitere 16 Prozent halten die aktuell vorgeschriebenen Regeln für überzogen.
Neuinfizierte in NRW: Jeder vierte ist Reiserückkehrer
Etwa jede vierte Corona-Neuinfektion in Nordrhein-Westfalen ist derzeit auf Reiserückkehrer aus dem In- und Ausland zurückzuführen. Das teilte das NRW-Gesundheitsministerium am Mittwoch auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf mit.
Allein am größten NRW-Airport Düsseldorf waren nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein am vergangenen Samstag 71 von gut 1850 Abstrichen im Testzentrum positiv.
Die Corona-Infektionszahlen sind in den vergangenen Wochen bundesweit stetig gestiegen. Das Robert Koch-Institut (RKI) vermeldete am Mittwoch 1226 neue Infektionen im Vergleich zum Vortag. Das ist der höchste Wert seit Anfang Mai. NRW liegt mit 413 Neuinfektionen und der schlechtesten Entwicklung im Sieben-Tage-Zeitraum weit an der Spitze der Bundesländer.
Die Landesregierung hatte am Dienstag sämtliche Corona-Verordnungen bis Ende August verlängert und zum Teil verschärft. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich in den vergangenen Tagen besorgt über die Entwicklung geäußert und die Bürger gemahnt, weiter die Abstands- und Hygienemaßnahmen einzuhalten.
Als einziges Bundesland startete NRW am Mittwoch mit Maskenpflicht auch im Unterricht ins neue Schuljahr. Ausgenommen sind nur die Grund- und Förderschüler der Primarstufe. Aber auch sie müssen auf den Fluren und dem sonstigen Schulgelände Masken tragen.
Flughafenverband lobt Testzentren für Reiserückkehrer
Die Corona-Testzentren an deutschen Airports haben sich bewährt, erklärt der Flughafenverband ADV. "Ankommenden Reisenden wurden die Tests schnell und unkompliziert ermöglicht. In der Regel kam es zu keinen langen Wartezeiten." Die Flughäfen und die vor Ort verantwortlichen Gesundheitsbehörden hätten gut zusammengearbeitet, betont ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Derzeit seien an 20 Flughafenstandorten Testzentren in Betrieb - meist außerhalb der Terminals oder auf dem Vorfeld, um Gedränge zu vermeiden. Seit dem Wochenende müssen sich Rückkehrer aus Risikogebieten auf das Coronavirus testen lassen