Putin verkündet, Russland habe einen Corona-Impfstoff, Putins Tochter hat ihn schon bekommen.
Dienstag 11.August.2020 - 10:01
Jedenfalls zitiert die staatliche Nachrichtenagentur Interfax den Präsidenten so. Es ist nicht anzunehmen, dass Putin damit seine Vaterliebe demonstrieren wollte, über Familiäres spricht er nicht oft. Es geht vielmehr um die Platzierung der Botschaft: Keine Angst, der Impfstoff ist sicher, den bekommt sogar meine Familie. (Vielleicht hat er auch einen dieser Ratgeber gelesen, in denen es heißt, man solle den Arzt fragen: Würden Sie das auch Ihrem eigenen Kind verschreiben? Der Präsident der deutschen Ärztekammer hält Putins Vorgehen jedenfalls für hochriskant.)
Am Dienstag verkündete der russische Präsident Wladimir Putin, sein Land werde eine Vakzine gegen das neue Coronavirus zulassen. Er sagte: "Ich weiß, dass der Impfstoff sehr effektiv arbeitet, eine sichere Immunität aufbaut und, ich betone, alle notwendigen Tests durchlaufen hat." Ab dem 15. August solle die Produktion in großem Maßstab beginnen, erst soll der Impfstoff Pflegern und Ärztinnen, Lehrerinnen und Lehrern angeboten werden. In ein paar Monaten, wohl ab Oktober, soll sich impfen lassen können, wer will. Die Vakzine solle jedoch freiwillig bleiben, sagte Putin.
Das alles ist erstaunlich für einen Impfstoff, über den kaum etwas bekannt ist. Entwickelt wurde er vom Moskauer Gamaleya-Institut. Es handelt sich um einen sogenannten Vektorimpfstoff. Er basiert auf abgeschwächten Adenoviren, in deren Erbgut die Forscher den Code für die Stachel des Coronavirus eingebaut haben. Ein in der Impfstoffentwicklung also gängiges Verfahren, auf dem unter anderem auch der in Tests weit fortgeschrittene mögliche Corona-Impfstoff von AstraZeneca und der Universität Oxford beruht.
Am 18. Juni registrierte das Gamaleya-Institut eine erste Studie an Menschen auf der englischsprachigen Seite ClinicalTrials.gov für einen Impfstoff namens Gam-COVID-Vac. Dass es sich dabei um eine frühe Studie handelt, wird deutlich, wenn man sich das Protokoll anschaut. Denn die Studie umfasste gerade einmal 38 gesunde Probanden, war nicht Placebo-kontrolliert oder randomisiert (es erfolgte also keine Zufallseinteilung von Teilnehmenden in die verschiedenen Arme der Studie).
Die Phasen von klinischen Studien zu Impfstoffen
Bevor ein Impfstoff an Menschen getestet wird, muss er sich in präklinischen Studien bewähren. Kann der Wirkstoff das, was er soll – also den Krankheitserreger daran hindern, menschliche Zellen zu infizieren? Welche Dosis könnte die richtige sein? Ist er sicher oder hat er schon in Studien mit Tieren Nebenwirkungen, die den Einsatz beim Menschen ausschließen? Wie verhält der Impfstoff sich im Organismus und wie könnte er am Ende verabreicht werden? All diese und viele weitere Fragen gilt es zu klären.
Das aber war es auch schon. Bis heute steht jede Art von wissenschaftlicher Publikation der Ergebnisse aus. Ganz anders als bei den meisten Impfstoffkandidaten, die Hoffnungen wecken – wie der Oxforder Vakzine (The Lancet: Folegatti et al., 2020), der des amerikanischen Biotechunternehmens Moderna (New England Journal of Medicine: Jackson et al., 2020) oder der chinesischer Forscher (The Lancet: Zhu et al., 2020). Es gibt weder zu den Tierversuchen noch zu der darauf gefolgten klinischen Studie von Gam-COVID-Vac Veröffentlichungen in einer Fachzeitschrift oder auf einem Preprint-Server.
Keinerlei wissenschaftliche Publikationen zur Vakzine
Im Juli jedoch verkündeten Forscher der Setschenow-Universität, die an der Entwicklung beteiligt sind, dass die Probanden den Impfstoff gut vertragen hätten. Inzwischen sollen weitere Probanden ihn bekommen haben, darunter Soldaten, aber auch die Tochter von Wladimir Putin – und Kirill Dmitriev. Dmitriev steht dem russischen Investitionsfonds RDIF vor, der die Impfstoffforschung Russlands unterstützt. Er sagt über den Impfstoff, 100 Prozent der Testpersonen in den Testphasen I und II seien nach der Impfung immun gewesen.