90 Stunden in Brüssel ... 1,8 Billionen Euro Hilfspaket der Europäischen Union
Dienstag 21.Juli.2020 - 01:33
Mehr als 90 Stunden Verhandlungen und Streit: Die 27 EU-Staaten haben Corona-Hilfen und den neuen EU-Haushalt beschlossen und bewegen insgesamt 1,8 Billionen Euro. Historisch sei das - meinen viele Teilnehmer.
Fünf statt zwei Tage: Der EU-Gipfel von Brüssel geht als einer der längsten in die Geschichte ein. Am frühen Morgen verkündeten die 27-Teilnehmerstaaten dann aber doch eine Einigung auf das größte Finanz- und Rettungspaket in der EU-Geschichte: 750 Milliarden Euro umfasst ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Pandemie. Der Anteil der Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, wurde auf Druck einer Gruppe von Ländern um die Niederlande und Österreich von 500 auf 390 Milliarden Euro gesenkt. Weitere 360 Milliarden Euro stehen als Kredite zur Verfügung.
Neben der Corona-Hilfe einigten sich die Verhandlungsteilnehmer auch auf den EU-Haushaltsrahmen bis 2027. Insgesamt 1074 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Mit einem Gesamtumfang von 1,8 Billionen Euro verabschiedete die EU das größte Finanzpaket der Geschichte.
Die Verhandlungsteilnehmer zeigten sich erleichtert, nachdem sie mehr als 90 Stunden gesprochen, gestritten und gefeilscht hatten: Die Einigung "zeigt unseren Glauben in unsere gemeinsame Zukunft", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel, der auch Gastgeber des Gipfels war und die Einigung mit dem Wort "Deal!" auf Twitter verkündet hatte. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, Europa habe immer noch den Mut und die Fantasie, groß zu denken. "Wir sind uns bewusst, dass dies ein historischer Moment in Europa ist." Es gelinge Europa, nach intensivem Ringen kraftvoll zu antworten.
"Wir haben einen guten Abschluss gefunden, darüber bin ich sehr froh", sagte Kanzlerin Angela Merkel. "Das war nicht einfach", sagte Merkel. Für sie zähle aber, "dass wir uns am Schluss zusammengerauft haben". Neue Verhältnisse erforderten auch außergewöhnliche neue Methoden, sagte Merkel. Sie sei "sehr erleichtert", dass Europa nach schwierigen Verhandlungen gezeigt habe, dass es "doch gemeinsam handeln kann", sagte die Kanzlerin. Das erfülle sie mit Hoffnung und Mut.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "historischen Tag für Europa". Er bezeichnete das Verhandlungsergebnis als Chance. Dafür sei es nötig gewesen, über sich hinauszuwachsen. Merkel und Macron traten nach dem Ende des Gipfels gemeinsam vor die Presse und demonstrierten so Einigkeit.
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte lobte das Ergebnis als ehrgeizig und "sehr konsistent". "Wir sind zufrieden", sagte er bei einer Videokonferenz.
"Es war eine Achterbahnfahrt, auf die nicht alle vorbereitet waren", sagte ARD-Korrespondentin Gudrun Engel. Sie beschrieb die Stimmung in Brüssel als angespannt. Vor allem am Sonntag hatte es erhitzte Debatten zwischen verschiedenen Lagern gegeben, deutliche Meinungsverschiedenheiten waren offen zutage getreten. Einige Nordstaaten wie Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden hatten Konditionen für die Milliardenhilfe aus dem Aufbaufonds gefordert, was Südstaaten wie das stark von der Pandemie betroffene Italien zunächst vehement ablehnten. Nun fand man einen Kompromiss, bei dem EU-Kommission, nationale Regierungen und EU-Rat letztlich zusammen über die Auszahlung entscheiden müssen.
Auch beim EU-Haushalt hatte es heftig geknirscht. Die Bedingung, Zahlungen an die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips zu koppeln, sorgte für Streit. Hier einigten sich die Gipfelteilnehmer auf eine Formulierung, die das Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit EU-Zahlungen betont - letztlich aber zunächst der EU-Kommission den Auftrag erteilt, genaue Vorschläge vorzulegen, wie man die Prinzipien einhalten kann. Der Streit ist also zum Teil vertagt worden.
Sowohl von der Leyen als auch Michel wiesen Vorwürfe zurück, dass hierbei eine starke Lösung zugunsten des Kompromisses geopfert wurde. Mit qualifizierter Mehrheit könnten bei Verstößen Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen.
Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Von dortigen Medien wurde das Verhandlungsergebnis als Sieg gewertet.