Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Deutsche Analysten: Erdogan erklärt den Krieg, indem er die Hagia Sophia in eine Moschee verwandelt

Montag 13.Juli.2020 - 10:21
Die Referenz
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Liest man, was regierungsnahe türkische Zeitungen am Tag danach geschrieben haben, wird einem angst und bange. Die "Wiederauferstehung der Hagia Sophia" sei der "Vorbote zur Befreiung der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem, die Muslime verlassen die Phase des Interregnums". In einem anderen Blatt schwadroniert einer von "der Rettung der Türkei aus der Tyrannei der Kreuzfahrer", ein Dritter sagt: "Die Ketten wurden gesprengt, Gott sei es gedankt." Man kann das als lärmende Auftragsarbeiten gleichgeschalteter Medien missverstehen. Man kann es aber auch betrachten als das, was es ist: eine Kampfansage. Wie süddeutsche gesagt : Mit der Umwandlung der Hagia Sophia vom Museum in eine Moschee hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine Grenze überschritten. Er zwingt seinem Land - und der Welt - einen Richtungswandel auf, der die moderne Türkei verändern wird. Ob Erdoğan dies aus strategischer Überlegung heraus getan hat oder ob er mit dem waghalsigen Schritt nur von seinem innenpolitischen Tief ablenken will - Wirtschaftskrise, Korruption, Corona - , spielt keine Rolle: Das Verhältnis der Türkei zum muslimischen Teil der Welt wird ein anderes sein, geprägt von Applaus und naiver Bewunderung. Aber auch die Beziehungen zu Europa, zur EU und den USA werden sich wandeln, und das leider nicht zum Besseren. Die Hagia Sophia ist nicht nur ein architektonisch einzigartiges Bauwerk, sie ist mehr als ein steinernes Anschauungsobjekt für Kunsthistoriker und der Sehnsuchtsort von Touristen. Die "Kirche der Göttlichen Weisheit" war fast 1000 Jahre lang die Krönungskirche der byzantinischen Kaiser, Inbegriff von Ostrom als Hüter christlicher Macht und Vorherrschaft. Seit 1453 verkörperte sie dann als Moschee knapp 500 Jahre lang das Sinnbild des Sieges der muslimischen Osmanen über die Christen. Danach, ab 1935, stand sie in einer Art dialektischer Bewegung für die Überwindung des überkommenen Alten, für die Verwandlung eines im Ersten Weltkrieg vernichtend geschlagenen Imperiums in eine zeitgemäße Republik. Und damit für den Schritt eines von den europäischen und amerikanischen Siegermächten übel geschundenen Landes in die Zukunft, für eine, hier gilt der Begriff, Auferstehung aus Ruinen. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk hat diesen Wandel mit übertrieben harter Hand vollzogen. Er hatte die Attitüde eines Demiurgen und die Weltsicht des Offiziers als politischer Macher. Er nahm keine Rücksicht auf Tradition und Volkskultur, schnitt Bärte ab, riss den Fes vom Kopf, schaffte die arabische Schrift ab, und versuchte, die türkische Frau zu befreien - ohne Rücksicht auf geltende Wertvorstellungen. Trotzdem hat er der Türkei den Weg gewiesen - als laizistische Republik, die trotz vieler Rückschläge erfolgreich war und trotz aller Militärputsche eine moderne Demokratie geblieben ist. 2023 feiert die Republik Türkei ihr 100. Jubiläum, und Erdoğan versucht sich am Gegenteil. Meinte man es gut, könnte man sagen, der nach Atatürk schon heute wichtigste Staatsmann des Landes will die Türken mit ihrer verleugneten Vergangenheit versöhnen, ihnen zurückgeben, was Atatürk dem Land genommen hat: die Erinnerung an die Weltmacht, an die über Jahrhunderte kulturell hochstehende osmanisch-islamische Vergangenheit.
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