Wäre Merkels Präsidentschaft in der Europäischen Union eine ihrer schwierigsten Aufgaben?
Freitag 26.Juni.2020 - 01:56
Berlin - Focus - 15 Jahre ist Angela Merkel nun Kanzlerin, jetzt steht ihr zum zweiten Mal nach 2007 die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft bevor. Schon die Wiederholung dieser herausgehobenen Position ist für einen europäischen Regierungschefs außergewöhnlich. Und diesmal, da sind sich Europapolitiker, Think Tanks und die Bundesregierung selbst einig, wird es eine ihrer schwersten Aufgaben.
Besteht Merkel sie, kann sie ihre Kanzlerschaft krönen, indem sie die dauerkrisengeschüttelte Europäische Union stabilisiert und aus dem Corona Tal herausführt, dabei gleichzeitig das Ansehen der Bundesrepublik weltweit sowie unter den gebeutelten europäischen Partnern mehrt.
„Ich kann mich an keine Präsidentschaft erinnern, die so viele Baustellen vorfand“, stimmt der SPD Europaabgeordnete Udo Bullmann auf sechs schwierige Monate ab dem 1. Juli ein. Hauptproblem natürlich: das Virus, immer noch. „Mit der Corona Krise steht die Europäische Union vor einer schicksalhaften Herausforderung“, beginnt das Präsidentschaftsprogramm der Bundesregierung. Viele ihrer ursprünglichen Vorhaben für das nächste halbe Jahr auf der europäischen Bühne wurden dadurch zu Makulatur, dennoch will sie an möglichst vielen festhalten.
Das ist nicht die Präsidentschaft, auf die wir uns eigentlich vorbereitet haben“, gibt Michael Clauß zu, Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU und damit in den nächsten sechs Monaten noch mehr als sonst eine Schlüsselfigur In Brüssel Ihm wird es obliegen, die Ratsgeschäfte mit zu koordinieren, Gremiensitzungen und Arbeitsgruppen vorzubereiten. Bei diesen Aufgaben stößt er wegen Corona auf heftige technische Schwierigkeiten.
Seit dreieinhalb Monaten bereits gibt es in Brüssel so gut wie keine größeren Gesprächsrunden mehr, bei denen sich Menschen tatsächlich treffen. Derartige Aktivitäten seien teilweise auf zehn Prozent ihres üblichen Umfangs zurückgefahren worden, berichtet Clauß. Die Kroaten, von denen Deutschland nun den Stab übernimmt, mussten in der zweiten Hälfte ihres Ratsvorsitzes etwas komplett Neues erfinden: die virtuelle Präsidentschaft. Doch Videokonferenzen, so klagt Clauß, seien nur etwa 20 Prozent so ergiebig wie physische Treffen.
Außerdem bestehe das Problem, Vertraulichkeit zu wahren. Treffen sich die Akteure tatsächlich von Angesicht zu Angesicht, kann man zudem besser den einen oder anderen mal zur Seite oder gar ins Gebet nehmen. Das dafür als letztes Mittel vorgesehene „Beichtstuhl“-Verfahren kann beim EU-Gipfel am 17./18. Juli erstmals seit Monaten wieder zur Anwendung kommen. Dann wollen die EU-Staats- und Regierungschefs sich in Brüssel auch mal wieder persönlich treffen.