Die Bundeskanzlerin soll nach Anschlägen Migranten mehr Gehör verschaffen
Donnerstag 27.Februar.2020 - 06:21
Berlin (Stern) - Ein Bündnis von Migrantenorganisationen hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu aufgerufen, den von Gewalt und Ausgrenzung betroffenen Zuwanderern mehr Gehör zu verschaffen. Im derzeitigen Bundeskabinett gebe es niemanden, der "selbst über Erfahrungen mit Rassismus verfügt", heißt es in einem offenen Brief an Merkel, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Das gelte auch für fast alle weiteren politischen Funktionsebenen, kritisieren die Verbände.
Der Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Sihan Cinanoglu, erklärte: "Der rassistische Anschlag in Hanau kann nur diejenigen überraschen, die die mindestens 182 Todesopfer der letzten Jahre erfolgreich verdrängt haben. Die immer wieder geäußerte "Einzeltäterthese" sei der Versuch, "Hanau und alle anderen rassistischen Morde zu entpolitisieren". Rassismus sei aber ein politisches Problem. In der BKMO sind 40 Verbände organisiert, darunter neben der Türkischen auch die Iranische Gemeinde und der Polnische Sozialrat.
"Man stelle sich ein Kabinett vor, das nicht einen einzigen Ostdeutschen umfasst oder keine einzige Frau", heißt es in dem Schreiben der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO). "Themen mit hoher Relevanz für die Zukunft Deutschlands wären unterrepräsentiert." Merkel solle Wege finden, auf höchster politischer Ebene die Perspektiven der Betroffenen einzubinden.
Konkret schlagen die Verbände vor, aus der Fachkommission "Integrationsfähigkeit" einen ständigen Partizipationsrat Einwanderungsgesellschaft aus Wissenschaftlern und Vertretern von Migrantenorganisationen zu schaffen. Er solle ähnlich dem Ethikrat beim Bundestag angesiedelt werden und für eine dauerhafte Auseinandersetzung mit der Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft sorgen.
"Mit der AfD im Bundestag haben sich die Grenzen des Sagbaren verschoben", heißt es in dem Schreiben weiter. "Rassistische Äußerungen im politischen Raum allerdings sind nicht allein eine Sache der AfD." Seit in Thüringen Rechtsextreme den Ministerpräsidenten bestimmen hätten können, "ist aus unserer Sorge Angst geworden".
In einem "Masterplan" fordern die Verbände, Antirassismus und Demokratieförderung als Staatsauftrag ins Grundgesetz und die Verfassungen der Länder aufzunehmen. Der Begriff "Rasse" müsse hingegen aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Der Begriff sei ein "pseudowissenschaftliches Konstrukt", das die Ungleichheit von Menschen postuliere.
Die Demokratieförderung müsse auf kommunaler Ebene, auf Länder- und Bundesebene durch ein Demokratiefördergesetz ausgebaut werden. Die Initiatoren schlagen zudem die Einrichtung eines Fonds für Opfer von Bedrohungen und Hasskampagnen im Internet vor. "Deutschland darf die Betroffenen nicht alleinlassen", heißt es in dem "Masterplan".