Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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EU-Haushalt: Merkel & Macron scheitern im EU-Gipfel

Sonntag 23.Februar.2020 - 08:55
Die Referenz
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Brüssel (Welt) - Am Donnerstagnachmittag waren die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel eingetroffen, um über den Sieben-Jahres-Haushalt der Union zu verhandeln. Es geht um mehr als 1000 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027, und der Streit um das Budget ist seit Monaten festgefahren.

Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, der die Verhandlungen koordiniert, hatte deshalb im Vorfeld des Gipfels eine wochenlange Pendeldiplomatie zwischen den europäischen Hauptstädten betrieben, um vorab mit den Regierungschefs die größten Hürden aus dem Weg zu räumen und einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten.

Offenbar ohne Erfolg: Schon am späten Donnerstagnachmittag war klar, dass es keinen Sinn ergeben würde, die Gespräche im großen Kreis zu führen – dazu lagen die Positionen zu weit auseinander.

Stattdessen entschied sich Michel, alle 27 Regierungschefs in Einzelgesprächen zu bearbeiten. Die Gespräche liefen bis in den Freitagmorgen nach sechs Uhr; allein mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verbrachte Michel Diplomaten zufolge eine ganze Stunde.

Angela Merkel war da schon lange nicht mehr da; sie war die zweite gewesen, mit der Michel gesprochen hatte. Nach der Unterredung verschwand sie in ihr Hotel. Ein Großteil der anderen Regierungschefs folgte ihrem Beispiel: Sie gingen mit ihren Mitarbeitern essen, wie Macron am Place Jourdan, oder legten sich schlafen und ließen sich pünktlich für ihre Gespräche wieder wecken. Vom Gipfel war nicht mehr viel zu spüren.

Die Ergebnisse der Unterredungen sollten in einen neuen Kompromissvorschlag fließen – aber der ließ auf sich warten: Vormittags um 10 Uhr solle er vorliegen, hieß es zunächst. Später wurde der Termin auf 12 Uhr verschoben, dann wurden die Gipfelteilnehmer Stunde um Stunde vertröstet. Die Choreographie schien Gipfelleiter Michel zu entgleiten.

Gegen 18 Uhr schließlich tauchte das Dokument auf: zwei Seiten, die Experten der EU-Kommission mit Michels Mitarbeitern verfasst hatten. Neun Punkte, viel Weißraum. „Es gab nicht mal einen ausgearbeiteten zweiten Vorschlag“, sagte Merkel später dazu. „Der Vorschlag, den der Ratspräsident mit der Kommission ausgearbeitet hat, ist gar nicht im Detail vorgelegt worden, weil schon klar war, dass die groben Daten des Vorschlags nicht ausreichen würden, um die Unterschiede zu unterbrücken.“

Michel will sich offenbar als Macher profilieren
Und so kam es, wie es kommen musste: Um 18 Uhr setzten sich Merkel, Macron und die anderen Regierungschefs zusammen, um über das Papier zu beraten. Eine gute Stunde später stand fest, dass man an diesem Wochenende wohl nicht mehr zusammen kommen würde, so groß waren die Differenzen.

Dabei schien Charles Michel fest entschlossen gewesen, sich bereits zu Beginn seiner Amtszeit als Macher zu profilieren und am Ende des Gipfels eine Einigung zu präsentieren. Der ehemalige belgische Premier wolle die Teilnehmer so lange nicht abreisen lassen, bis sie sich geeinigt hätten, hieß es vorab.

Am Freitagmorgen nach der Nacht der Einzelgespräche hatten sich auch noch Merkel und Macron eingebracht, um Bewegung in den Gipfel zu bringen. Merkel gehört immerhin zu den wenigen Regierungschefs, die das nur alle sieben Jahre stattfindende Schauspiel schon einmal mitgemacht haben. Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident setzten nahmen an Gesprächen teil, die Michel mit den vier besonders sparsamen Nettozahlern und einer Reihe von Netto-Empfängerländern führte. Es nützte nichts, am Ende überwogen die Differenzen.

Dass der Gipfel schwierig werden würde, war von Anfang an klar: Nach dem Brexit müssen die verbliebenen Mitglieder den britischen Beitrag teilweise kompensieren. Das betrifft vor allem Netto-Zahler wie Deutschland und die Niederlande. Viele Länder, die in den vergangenen Jahren Netto-Empfängerländer waren, haben sich derweil wirtschaftlich so gut entwickelt, dass sie in den kommenden Jahren unterm Strich weniger Geld aus Brüssel bekommen werden oder gar zum Netto-Zahler werden, zum Beispiel Irland.

Dass die Kommission außerdem den Brexit nutzen will, um die Rabatte für die Nettozahler abzuschaffen, wollen die betroffenen Länder - Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande – keinesfalls akzeptieren.

Dass nordwesteuropäische Regierungen und Brüssel zudem die Auszahlung von EU-Geldern daran knüpfen wollen, dass die Empfängerländer die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit einhalten, sorgt für zusätzliches Konfliktpotential – und stößt erwartungsgemäß Polen und Ungarn auf.

„Die Differenzen waren einfach zu groß“
Hinzu kommt, dass die EU-Kommission, aber auch Länder wie Deutschland das Budget modernisieren und künftig mehr Geld in den Klimaschutz, die Digitalisierung oder die Verteidigung der EU-Außengrenzen stecken wollen. Dafür soll bei der Landwirtschaft und der sogenannten Kohäsionspolitik, die ärmere Regionen voranbringen soll, gekürzt werden. Das kommt in vielen Hauptstädten schlecht an.

Letztlich waren es offenbar die sogenannten Freunde der Kohäsion, 16 Netto-Empfängerländer aus Ost- und Mitteleuropa sowie Italien, die für sich beschlossen hatten, dass sie nicht mehr viel erwarten konnten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán machte bereits am Freitagnachmittag deutlich, dass er mit dem Gipfel abgeschlossen hatte. „Die Differenzen waren einfach zu groß“, sagte Merkel anschließend.

Abgeordnete des Europäischen Parlaments kritisierten das Scheitern. Dass der Gipfel kein Ergebnis gebracht habe, sei keine Überraschung, sagte etwa Niclas Herbst, der Haushaltssprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. „Es mussten zu viele widerstreitende Interessen unter einen Hut gebracht werden und schon der Entwurf von EU-Ratspräsident Michel war enttäuschend. Während der Verhandlungen ging es dann weiter in die falsche Richtung“, sagte der CDU-Politiker. 

Der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen ließ seiner Enttäuschung am Abend freien Lauf. „Das Schachern um Nachkommastellen für nationalstaatliche Egoismen ist eine Farce“, sagte der Politiker. „Die Staats- und Regierungschefs haben es verpasst, gemeinsame Antworten auf drängende Fragen zu finden.“ Andresen ist der einzige Deutsche im Team des Parlaments, das mit den Staaten über den Haushalt verhandelt.

Charles Michel muss jetzt die Scherben aufkehren und einen neuen Kompromissvorschlag erarbeiten. Dass es zwei oder gar drei Gipfel benötigt, um sich auf den EU-Langfristhaushalt zu einigen, ist nicht ungewöhnlich. Wann die Regierungschefs zum nächsten Mal 
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