Hakan Sükür lebt in USA und fährt Uber: Erdogan hat mein Leben zerstört
Ankara (Stuttgarter Zeitung) – Zur
Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea ist Hakan Sükür etwas gelungen,
das vor ihm keiner erreicht hat. Er hat im Spiel um den dritten Platz gegen
Südkorea in nur elf Sekunden das schnellste Tor der WM-Geschichte geschossen
und damit seinen Ruf als „Bulle vom Bosporus“ weiter gestärkt. Er gilt bis
heute als der wohl bedeutendste türkische Fußballspieler aller Zeiten, das
machte er damals bei dem Turnier deutlich.
Sükür ist pleite
Viel Zeit ist seitdem vergangen und Sükür tief
gefallen. Heute lebt der 48-Jährige in den USA, weil in der Türkei ein
Haftbefehl gegen ihn vorliegt wegen des Verdachts der Terrorunterstützung.
Seinen Unterhalt verdient er als Uber-Fahrer. Das erzählt er in einem
Interview, das er der Welt am Sonntag gab. Davor hatte er noch versucht, mit
einem eigenen Café Fuß zu fassen und ist damit gescheitert. Viele Kunden
wussten nicht, dass es ein türkischer Nationalheld war, der ihnen Kaffee und
Kuchen servierte. „Ich habe nichts mehr, nirgendwo auf der Welt. Denjenigen,
die behaupten, ich würde irgendwo irgendetwas besitzen, bin ich bereit, es zu
schenken, wenn sie es ausfindig machen“, sagte er der Zeitung in dem Interview.
Ehemaliger Abgeordneter der AKP
Dass der ehemalige Nationalspieler pleite ist,
hat er keinem ausschweifenden Lebensstil zu verdanken, sondern seiner
Feindschaft zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Nach seiner
Karriere als Fußballer begab er sich noch vertrauensvoll in die Obhut des
konservativen Politikers und war von 2011 zwei Jahre als Abgeordneter der
konservativen AK-Partei im türkischen Parlament.
Das Verhältnis zum Präsidenten war zunächst
gut, Erdogan wurde sogar die Ehre zuteil als Standesbeamter Sükür bei seiner
Hochzeit zu trauen. Im Jahr 2015 ist die Fußballer-Legende dann dennoch aus der
Partei ausgetreten. In seinem Gespräch mit der Zeitung spricht er davon, dass
seine Zeit in der Politik seine Ansicht über die Regierung Erdogans verändert
habe. Mit seinem Austritt leitete er jedoch seinen persönlichen Untergang ein.
Er und seine Familie wurden angefeindet und mussten daher die Türkei verlassen.
Unter anderem sei die Boutique seiner Frau mit Steinen beworfen worden.
Inzwischen verlor er in der Türkei seine Besitztümer und seine Konten wurden
ebenfalls gesperrt.
Verbindung zur Gülen-Bewegung
Das ist jedoch nicht der einzige Grund, dass
Sükür den Hass vieler Menschen in der Türkei auf sich zog. Zu seiner Hochzeit
war nämlich noch eine weitere Person zu Gast und sogar Trauzeuge: Der türkische
Prediger Fethullah Gülen. Dieser gilt inzwischen als Staatsfeind Nummer 1,
nachdem Erdogan ihn für den Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016
verantwortlich gemacht hat. Gülen lebt seit 1999 ebenfalls in den Vereinigten
Staaten, wird jedoch trotz Druck der Türkei von den Vereinigten Staaten nicht
ausgeliefert.
Sükür gibt in seinem Interview mit der Welt am Sonntag an, dass er heute keinen Kontakt mehr zu Gülen habe, sich auch nicht zu seinen Anhängern zähle und erst recht nicht mit an dem Putschversuch 2016 mitgewirkt habe. Dennoch wird ihm noch immer eine Verbindung zu Gülens als in der Türkei terroristisch eingestuften Organisation unterstellt. Das macht Sükür damit zum
Kommentator auf Youtube
Sükür lässt sich nicht unterkriegen und baut
sich seine neue Existenz in den USA auf. Er bleibt trotz seines Exkurses in die
Politik auch weiterhin dem Fußball treu. Auf sozialen Netzwerken kommentiert er
inzwischen in Videos und Beiträgen aktuelle Fußballereignisse oder postet
Videos von seinen ruhmreichen Zeiten, als er sich mit 51 Toren zum
Rekordtorschützen der türkischen Nationalmannschaft hocharbeitete. Es gibt
immerhin noch Hunderttausende Menschen, die ihm folgen.
Hin und wieder kann Sükür es doch nicht lassen
und es schleicht sich eine politische Botschaft in seinen Channel ein und sei
es nur als versteckte Metapher. Beispielsweise hat er vor Kurzem ein Video
gepostet, in dem sich ein kleiner Vogel in seine Wohnung verirrte. Er fängt ihn
ein und spricht in die Kamera, als er ihn wieder im Garten freilässt. „Möge
jeder für sich seine Freiheit erlangen“, sagt er. Der Vogel ist frei, Sükür
lebt noch immer im amerikanischen Exil.