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So trickst Erdogan die Europäer in Libyen aus

Samstag 18.Januar.2020 - 05:06
Die Referenz
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Berlin (Welt)) - Der ganze Krieg in Libyen geht ums Öl und Erdgas. Die libyschen Bürgerkriegsparteien wissen, dass die Ölquellen des Landes und die Hoheitsgewässer (mit eventuellen Bodenschätzen unter dem Meeresboden) sehr hoch sind, mit denen sie die Großmächte ködern können, ihre jeweilige Seite zu unterstützen.

Die Rebellen der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter dem einstigen Armeechef Khalifa Haftar kontrollieren weite Teile des Landes und damit auch einen wesentlichen Teil der Öl- und Erdgasquellen, aber nicht die Hauptstadt Tripolis. Russland und Frankreich unterstützen Haftar ebenso wie Ägypten, der wichtigste Verbündete der USA in der Region.

Die LNA laut einem Bericht von „al-Monitor“ließ  jährlich zwei Millionen Dollar kosten, um über die amerikanische Lobbyfirma Linden Government Solutions Türen in Washington zu öffnen. Es gab da unter anderem Gespräche mit Fachleuten der US-Administration für Energie.

Die Kontrolle über Öl- und Gasquellen ist ein wichtiger Teil, um die Macht auf dem Boden zu gewinnen. Aber für die Türkei, die Haftars Gegenspieler Fajiz al-Sarradsch und dessen auch von der UN anerkannten Einheitsregierung (Government of National Accord, GNA) unterstützt, gibt es etwas Wichtigeres: Libyens Seegrenze.

Ende vergangenen Jahres und erneut am 12. Januar empfing der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Sarradsch zu Gesprächen, in denen es um ein Tauschgeschäft ging: militärische Unterstützung durch die Türkei als Gegenleistung für Sarradsch’ Einwilligung in eine Festlegung der gemeinsamen Seegrenze, die den türkischen Interessen entgegenkommt.

Im November einigten sie sich, wobei die Türkei ihre militärische Präsenz in Libyen ausbaut. Dabei gibt es offiziell keine Obergrenze: Erdogan hat gesagt, er werde so viele Truppen schicken wie „nötig“, um Sarradsch an der Macht zu halten.

Während der jüngsten Waffenstillstandsverhandlungen in Moskau am 13. und 14. Januar waren es denn auch die Türken und Russen, die den Ton angaben – schließlich sind sie es, die den jeweiligen Kriegsparteien die Mittel für ihren Krieg geben.

Erdogan ist dabei weniger an einem kompletten Sieg von Sarradsch interessiert als daran, die libysche Hauptstadt Tripolis zu halten. Denn solange sie nicht fällt, gelten Sarradsch und seine GNA als die einzig international anerkannte Regierung des Landes. Und damit gilt das im Dezember ausgehandelte Abkommen – genauer gesagt, ein „Memorandum“ – mit der Türkei über den Verlauf der gemeinsamen Seegrenze.

Bei diesem Memorandum geht es den Türken weniger um Libyen als um Zypern und um das Erdgas im östlichen Mittelmeer. Sieht man sich das Ganze auf einer Karte an, wird klar, wie groß die Türkei ihre maritime Wirtschaftszone definiert. Sie überschneidet sich in großem Umfang mit von Griechenland beanspruchten Gebieten rund um die Ägäisinseln, Zypern und Kreta.

Es geht um Gas: Im östlichen Mittelmeer werden immer mehr Erdgasvorkommen entdeckt, zuletzt südlich von Kreta. Rund um Zypern tobt ein regelrechter Bohrschiffkrieg zwischen der Türkei und der Regierung des griechischen Teils der Insel, die allein (als Vertreter der gesamten Insel) international anerkannt und EU-Mitglied ist. Nordzypern ist seit 1974 von türkischen Truppen besetzt, die „Republik Nordzypern“ wird aber international nur von der Türkei anerkannt.

Das Memorandum mit Libyen gibt der Türkei unter anderem das Recht, mit ihrer Kriegsmarine libysche Gewässer zu nutzen, Damit entsteht eine unsichtbare Mauer, die von der libyschen Küste zur türkischen führt, Kreta von Zypern trennt und es den Zyprioten unmöglich macht, ihr großes Zukunftsprojekt zu verwirklichen und Erdgas, das vor ihrer Küste gefördert würde, über eine Pipeline nach Südeuropa zu transportieren.

Nicht nur Zypern: Ägypten und Israel haben sich zu diesem Zweck mit den Zyprioten und Griechen geeinigt, haben ihrerseits Memoranden zum Verlauf der Seegrenzen unterzeichnet. Könnte israelisches, ägyptisches und zypriotisches Gas nach Europa gelangen, würde das Europas Abhängigkeit von russischem Gas verringern. Die Ereignissen sind also auch im Interesse der EU.

Kein Wunder also, dass die EU den türkisch-libyschen Deal als Rechtsbruch und für „null und nichtig“ erklärt hat. Die Türken ihrerseits fordern eine Beteiligung an den Erträgen aus zypriotischem Gas – denn ein Teil davon stünde dem türkisch bevölkerten nördlichen Teil der gespaltenen Insel zu.

Ob sich die Türkei durchsetzen kann und Griechen und Europäer am Ende klein beigeben, hängt wesentlich davon ab, ob sich Sarradsch mit türkischer Hilfe in Tripolis halten kann.

Der militärisch überlegene Haftar hat sich geweigert, bei den Verhandlungen in Moskau einen Waffenstillstand zu unterzeichnen, de facto aber hält derzeit eine brüchige Waffenruhe. Die Türkei werde Haftar „eine Lektion erteilen“, sagte Erdogan am 14. Januar, falls er versuche, Tripolis dennoch zu erobern.

Dort halten sich derzeit rund 80 türkische Soldaten auf, die vor allem GNA-Truppen trainieren sowie ein Operationszentrum und mittelfristig ein Luftverteidigungssystem aufbauen sollen. Die Türkei hat – trotz eines Waffenembargos gegen Libyen – Medienberichten zufolge Drohnen und gepanzerte Kampffahrzeuge geliefert.

Zu Lasten der EU

All das ist insofern ein geschickter Schachzug, als die EU die GNA-Regierung anerkennt, wie auch die UN. Erdogans Strategie ist zwar gegen die Interessen der Europäer gerichtet – im Hinblick auf Zypern und das Erdgas –, aber eben nicht in Libyen selbst. Dort versucht er, Deutschland, Frankreich und Italien eng einzubeziehen in seine Diplomatie.

Schließlich ist auch ihnen an einer Waffenruhe gelegen und daran, die „rechtmäßige“ Regierung Sarradsch zu stützen. Erdogan nutzt also auf der einen Seite die politischen Grundinstinkte der Europäer, um auf der anderen Seite seine Interessen zu deren Lasten durchzusetzen.

Der nächste Schritt ist eine Libyenkonferenz am 19. Januar in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss dort versuchen, in diesem komplizierten Spiel Lösungen zu finden. Wobei die türkischen Interessen immer ein offenes Ohr in Deutschland finden – gilt es doch auch, die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei im Hinterkopf zu behalten. Erdogan kann immer damit drohen, seine Grenzen wieder zu öffnen.
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