Erdogan hat eine Neo-osmanische Pläne in Lybien
Berlin (Spiegel) - Als vor fast zehn Jahren in der arabischen Welt Bürger gegen ihre Regierungen aufstanden, war die Türkei für etliche Demonstranten ein Vorbild: Ein säkularer Staat mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung, wirtschaftlich stark, mehr oder weniger demokratisch regiert.
Die Türkei selbst hatte sich zum Ziel gesetzt, in der Region mitzumischen. Für die imperialen Ambitionen des damaligen Premiers und späteren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde sogar einen eigener Begriff entwickelt: Neo-Osmanismus.
Heute ist die Türkei selbst ein Krisenland. Erdogans Ambitionen jedoch sind geblieben. Der türkische Staatschef will mitmischen, wo immer es geht, im Irak, in Syrien – nun auch in Libyen.
Kampf gegen Warlord Haftar
In einer Sondersitzung hat das türkische Parlament vergangene Woche der Regierung das Mandat für einen Kriegseinsatz in Libyen erteilt. Kurz darauf verlegte Erdogan Truppen in den Wüstenstaat, darunter ranghohe Militärs. Sie sollen der Regierung von Libyens Premier Fayez Sarraj im Kampf gegen den Warlord Khalifa Haftar helfen, unter anderem soll ein türkischer General in der „Operationszentrale“ in Tripolis eingesetzt werden.
Noch ist unklar, wie genau die Operation der Türkei in Libyen aussehen soll. Die Regierung in Ankara äußerte sich bisher weder zur geplanten Truppenstärke noch zum Umfang der militärischen Unterstützung für Sarraj. Dass ein Drei-Sterne-General die Führung übernehme, lege jedoch nahe, dass die Mission für Ankara eine entscheidende Bedeutung habe, sagt der türkische Militärexperte Can Kasapoglu vom Istanbuler Thinktank EDAM.
Und auch Sarrajs Regierung soll große Erwartungen an die Türkei haben. Nach Angaben des ehemaligen türkischen Offiziers Metin Gürcan sei zwischen Ankara und Tripolis eine Flugverbotszone über den von Sarraj kontrollierten Gebieten ebenso im Gespräch wie eine Marinepatrouille.
„Im Fall einer Eskalation hätte die türkische Luftwaffe nur begrenzte Möglichkeiten“
Für die türkische Armee wäre ein solcher Einsatz eine riesige Herausforderung: Sie kämpft schon jetzt in Syrien und im Nordirak. Nach dem Putschversuch 2016 wurden viele Militärs aus dem Apparat entfernt. Dies hat vor allem in der Luftwaffe Lücken hinterlassen.
Während die Türkei mit Syrien und dem Irak eine Grenze teilt, liegt Libyen etwa 1900 Kilometer weit entfernt auf der anderen Seite des Mittelmeers. Der Transport der Truppen bedeutet großen logistischen Aufwand.
„Im Fall einer Eskalation hätte die türkische Luftwaffe nur begrenzte Möglichkeiten“, sagt EDAM-Experte Kasapoglu. Türkische F16-Kampfjets müssten auf dem Weg nach Libyen mehrfach in der Luft betankt werden. Auch für die türkische Marine stellt die Distanz ein Problem dar.
Internationaler Stellvertreterkrieg in Libyen
Der Libyen-Konflikt hat sich längst in einen internationalen Stellvertreterkrieg verwandelt: Während die Vereinten Nationen Sarraj als rechtmäßigen Regierungschef anerkennen und dieser neben der Türkei auch von Katar gestützt wird, haben sich Russland, Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien auf die Seite Haftars geschlagen.
Der Warlord ist von der Großstadt Bengasi im Osten Libyens immer weiter in den Westen vorgerückt. Seit April belagert seine Libysch-Nationale Armee (LNA) Tripolis. Nichts deutet auf ein schnelles Ende der Kampfhandlungen hin.
Es ist unwahrscheinlich, dass Erdogan davon ausgeht, den Krieg zugunsten Sarrajs gegen Haftarund Russland drehen zu können. Ihm geht es wohl darum, bei Verhandlungen über eine Nachkriegsordnung in Libyen mit am Tisch zu sitzen. Diesen Mittwoch empfängt er Russlands Präsident Wladimir Putin in der Türkei. Libyen dürfte weit oben auf der Agenda stehen.
Erdogan beschwört die osmanische Geschichte
Für Erdogan birgt der Einsatz aber auch Risiken im eigenen Land. Zwar stimmte die Mehrheit im Parlament für das Mandat zur Truppenentsendung, ein Großteil der Opposition stellte sich jedoch dagegen. Der stellvertretende Parteivorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Ünal Ceviköz, sagte im Parlament, es handele sich um ein „unsinniges und gefährliches Abenteuer“.
Und auch in der Bevölkerung ist das Mandat umstritten. Während die türkische Offensive in Nordsyrien im Oktober 2019 von einer Mehrheit der Bürger begrüßt wurde, sind die Reaktionen nun verhalten. Einem weiteren teuren Militäreinsatz in Zeiten der Wirtschaftskrise stehen viele Türken kritisch gegenüber.
Erdogan beschwört deshalb, einmal mehr, die vermeintlich glorreiche Vergangenheit. Bereits Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, sagte er, habe zu Zeiten des Osmanischen Reiches in Libyen gekämpft. Es ist fraglich, ob er seine kriegsmüde Bevölkerung auf diese Weise für den Einsatz in Nordafrika begeistern kann.