Soleimani war für iranischen Terror verantwortlich
Berlin (Welt) - Qassem Soleimani war vieles: Berufssoldat, Stratege, Generalmajor, Befehlshaber der Al-Kuds-Brigaden, einer Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden. Für die USA und westliche Regierungen war er nicht nur ein Terrorist, sondern ein Drahtzieher eines weltumspannenden Terrornetzwerks, Staatsfeind Nummer eins. Aber daheim war der 62-Jährige, der nun durch den Angriff einer US-Drohne auf einen Konvoi am Flughafen Bagdads getötet wurde, noch viel mehr: ein Kriegs- und Volksheld.
Insgesamt fünf Insassen starben in den beiden Fahrzeugen, neben Soleimani auch Abu Mahdi al-Muhandis, sein langjähriger Freund und Berater. Die beiden Männer haben die aggressive Außenpolitik des Iran in den vergangenen Jahrzehnten geprägt wie kaum jemand anderes. Unter ihrem Befehlshaber Soleimani waren die Al-Kuds-Brigaden zuständig für Auslandseinsätze im Namen der Islamischen Republik.
Muhandis führte im Irak die Miliz Kataib Hisbollah sowie die Volksmobilisierungskräfte (PMF), die 2014 als Gegenarmee zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gegründet worden waren. Der Iran ist schiitisch, der IS von Sunniten dominiert.
Soleimani ist der Architekt der regionalen Militärstrategie des Iran. Er plante seit den 80er-Jahren weltweit Terroranschläge, insbesondere gegen amerikanische Einrichtungen. Er baute ein Netzwerk von Stellvertreterarmeen im Irak, Libanon, in Syrien und im Jemen auf, das den Iran im Nahen Osten so mächtig und unberechenbar macht.
Vor wenigen Tagen war al-Muhandis noch vor der US-Botschaft in Bagdad gesehen worden. Hunderte von Demonstranten hatten versucht, sie zu stürmen. Es war eine Protestaktion gegen die Luftschläge des Pentagons gegen Kataib Hisbollah, bei denen 25 Kämpfer der Miliz getötet wurden.
Gewöhnlich scheute Soleimani die Öffentlichkeit, schließlich stand er seit Langem auf der Terrorliste zahlreicher Staaten. Aber durch den Krieg gegen den IS geriet er als offizieller Vertreter des Iran immer mehr ins Rampenlicht.
Er war ständig im Irak und in Syrien unterwegs, um als Oberbefehlshaber den Kampf gegen den IS zu leiten. In Syrien dirigierte Soleimani Einheiten der Armee von Machthaber Baschar al-Assad, Milizen aus dem Libanon, Irak, Iran und Jemen sowie reguläre Truppen der Revolutionsgarden.
Er galt als genialer Feldherr
Im Irak plante er den Einsatz der PMF-Kämpfer und von Teilen der irakischen Armee. Soleimani galt als der geniale Feldherr, ohne den der Sieg über den IS nicht möglich gewesen wäre. Dabei kooperierte er immer wieder auch mit der US-Armee im Irak – beide hatten den IS als gemeinsamen Feind.
Kenner der Region beschreiben Soleimani als außerordentlich zielstrebig und hartnäckig. Er wurde in eine arme Familie aus den Bergen im Nordiran geboren. Sein Vater häufte Schulden an – und konnte sie irgendwann nicht mehr zurückzahlen.
Mit 13 Jahren begann Soleimani, selbst zu arbeiten. Er war es, der die Schulden seines Vaters zurückzahlte. Wenn er nicht arbeitete, stemmte er Gewichte oder lauschte Predigten von islamischen Geistlichen.
Zur Zeit der iranischen Revolution 1979 war Soleimani 22. Er war ein erbitterter Gegner des Schahs, der das Land bis dahin regiert hatte, und glühender Anhänger des Revolutionsführers Khomeini. Doch Beobachter sind sich einig, dass er sich ideologisch erst im Irak-Iran-Krieg festigte. Dort kämpfte er als Soldat, stieg in der militärischen Rangordnung schnell auf.
Er leitete mehrere Geheimkommandos, die hinter den feindlichen Linien im Einsatz waren. Schon dadurch wurde er zum Kriegshelden. Brutalität charakterisierte den Krieg, hohe Opferzahlen, der Einsatz chemischer Waffen. Am Ende stand ein Waffenstillstand, nicht etwa ein Sieg des Iran. Das soll den Soldaten Soleimani geprägt haben, der in nahezu allen Schlachten des Konflikts für sein Land kämpfte.
Über die Jahre, mit jedem Angriff auf US-Soldaten nach deren Einmarsch im Irak 2003 und jedem weiteren Terroranschlag, wuchs Soleimanis Ruhm daheim. Im Juli 2018 zeigte sich deutlich, wie wichtig und einflussreich er aber auch innerhalb der iranischen Führung geworden war.
Nachdem US-Präsident Donald Trump den Obersten Religionsführer Ali Khamenei warnte, er solle den USA nicht drohen, war es Soleimani, der offiziell reagierte. Es sei unter Khameneis Würde, Trump zu antworten, deshalb tue er das – als Soldat. Es hieß, der Ajatollah und Soleimani hätten ein enges Vertrauensverhältnis gehabt, manchen galt Soleimanigar als der nächste Machthaber im Iran.
Sein Tod macht ihn zum Volkshelden und glorreichen Märtyrer. Die Islamische Republik ordnete drei Trauertage an, das staatliche Radio spielt nonstop Hymnen zu seinen Ehren. Khamenei versprach persönlich „bittere Rache an den Kriminellen“, die für das Verbrechen an Soleimaniverantwortlich seien.
Wegen Soleimanis Bedeutung bewerten viele Beobachter seine Tötung als sehr schwerwiegend. Sie sei „eine Kriegserklärung“, wie Hillary Mann Leverett kommentierte, eine ehemalige Mitarbeiterin der Nationalen Sicherheit im Weißen Haus. Das sei in etwa so, als wäre in den USA der Verteidigungsminister oder der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte ermordet worden.
„Natürlich fühlt sich der Iran nun herausgefordert, bald zurückzuschlagen“, sagt Behnam Ben Taleblu von der Foundation in Defense of Democracies, einer Denkfabrik in Washington. „Das aber würde wiederum einen größeren Gegenschlag der Amerikaner provozieren.“
So käme nur eine Eskalationsspirale in Gang, an deren Ende die Iraner nur als Verlierer stehen könnten. Aus Sicht des Regimes sei es daher viel sinnvoller, weiter mit der Politik der Nadelstiche fortzufahren, als spektakulär Vergeltung zu üben.
Eine etwas andere Analyse liefert das Soufan Center, ein Recherche- und Forschungsinstitut in New York. Darin heißt es, ein iranischer Vergeltungsschlag könnte einen lang anhaltenden Konflikt mit den USA auslösen, ohne jedoch eine klare militärische Entscheidung zu bringen. „Der Iran wird sicher zurückschlagen“, heißt es in dem Bericht, „und wird dabei einen oder alle Verbündeten und Stellvertreter seines regionalen Netzwerks in Syrien, im Irak, Libanon und Jemen nutzen.“
Der Iran könnte auch über seine alliierten Milizen im Irak das Land destabilisieren. Noch einen Tag vor seinem Tod hatte Soleimani auf die Drohungen von Präsident Trump geantwortet und seinerseits mit enormen Zerstörungen gedroht: „Es ist doch bekannt, wie viel Macht wir in der Region und welche Fähigkeiten wir für einen asymmetrischen Krieg haben.“
Der Tod von Soleimani hat der Militärpolitik des Iran schweren Schaden zugefügt. Ajatollah Khameini ernannte am Freitag zwar schon einen Nachfolger, Soleimanis bisherigen Stellvertreter Esmail Qaani. Er werde so weitermachen wie bisher, versicherte Khameini bei der Ernennung.
Dennoch: Ein Mann wie Soleimani mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung kann nicht über Nacht ersetzt werden. Qaani ist bisher nur durch seine Lobeshymnen auf seinen Vorgesetzten Soleimani aufgefallen und seine Verbalattacken auf die Feinde der Islamischen Republik.