Illegale Einreisen von der Türkei nach Griechenland, mit 100.000 Migranten im nächsten Jahr rechnet
Griechische Behörden rechnen mit einer erneuten
Zunahme der Flüchtlingszahlen. Bereits im vergangenen halben Jahr ist die Zahl
der Migranten in dem Land stark gestiegen.
Griechenland erwartet im kommenden Jahr rund 100.000 neue Migrantinnen und Migranten aus der Türkei, die vor allem auf den griechischen Inseln in der Ägäis ankommen werden. Allein in den vergangenen sechs Monaten habe sein Land 45.000 neue Flüchtlinge aufgenommen, sagte der Beauftrage der griechischen Regierung für die Erstaufnahme von Flüchtlingen, Manos Logothetis, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dies bedeute, dass Griechenland nächstes Jahr mit rund 100.000 neu ankommenden Flüchtlingen zu rechnen habe.
Logothetis kündigte an, dass seine Regierung im kommenden Jahr 10.000 Asylsuchende von den griechischen Inseln in Richtung Türkei abschieben wolle. Dafür seien bereits 200 neue Asylentscheider eingestellt worden. 270 weitere sollten noch eingestellt werden. Zudem würden neue Erstaufnahmelager auf jenen fünf Inseln gebaut, die die größte Last der Migrationsbewegung trügen.
Der Regierungsbeauftragte sprach von einer Krise, die "deutlich kritischer" für Griechenland sei als 2015. Damals seien die Flüchtlinge in andere EU-Staaten weitergezogen. Diesmal blieben sie auf den Inseln.
Griechenland fordert Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlingen auf
Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte kürzlich Deutschland angesichts der dramatischen Lage auf der Insel Lesbos zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge gedrängt. In der Bild am Sonntag bejahte er die Frage, ob Deutschland direkt Flüchtlinge aus Lesbos aufnehmen sollte.
Während der Jahre 2015 und 2016 waren täglich Tausende Menschen von der türkischen Küste nach Lesbos und zu anderen griechischen Ägäis-Inseln übergesetzt. Seit dem EU-Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU im März 2016 ist die Zahl der Neuankömmlinge auf den Inseln zwar deutlich zurückgegangen. Seit einiger Zeit erreichen allerdings wieder mehr Menschen über die Ägäis Europa. Nach jüngsten Angaben des zuständigen Ministeriums in Athen harren in den Lagern der Inseln mehr als 41.000 Menschen aus. Noch im April lebten auf den betroffenen Inseln nur 14.000 Migrantinnen und Migranten.
Trotz der angespannten Lage schickte Deutschland in diesem Jahr deutlich weniger Beamte zur Hilfe für die griechischen Asylbehörden auf die Inseln, berichteten die Funke-Zeitungen unter Berufung auf von ihnen eingeholte Informationen des EU-Asylbüros Easo. Demnach entsandte der Bund 2019 insgesamt 80 Asylexperten unter anderem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf die griechischen Inseln, um bei der Registrierung der Flüchtlinge zu helfen. 2018 waren es laut Easo allerdings noch 124 Beamte aus Deutschland, 2017 sogar 130.
Überfüllte Lager, Gewalt, Verzweiflung: In Griechenland hat sich die Lage für Geflüchtete in diesem Jahr deutlich verschlechtert. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) kamen bis zum 15. Dezember 71.368 Migranten aus der Türkei in das Land. Das waren 20.860 mehr als im Jahr zuvor. Allein binnen eines Tages griff die griechische Küstenwache 136 Menschen, die aus der Türkei gekommen waren, in der Ägäis auf. Weiteren 338 Migranten – ebenfalls aus der Türkei – gelang es per Boot, griechischen Boden zu erreichen, meldete der staatliche Fernsehsender ERT unter Berufung auf die Küstenwache.
Die Lage in den völlig überfüllten Registrierlagern auf den Inseln der Ägäis gerät zunehmend außer Kontrolle. In und um das Lager von Moria auf der Insel Lesbos leben mehr als 18.000 Menschen, bei einer Aufnahmekapazität von rund 2.850. Nach jüngsten Angaben des zuständigen Ministeriums in Athen harren in den Lagern der Inseln mehr als 41.000 Menschen aus. Das ist die höchste Zahl seit Inkrafttreten des EU-Türkei Flüchtlingspaktes im März 2016. Noch im April lebten auf den betroffenen Inseln nur 14.000 Migranten.
Die Zustände in den restlos überfüllten Migrantenlagern sind nach Berichten humanitärer Organisationen dramatisch. Vor allem Kinder und Frauen seien Gewalt ausgesetzt, sagte der Chef des UNHCR, Filippo Grandi, nach einer Inspektion des Moria-Lagers im November. Deshalb müssten dringend mehr Menschen aufs griechische Festland gebracht werden. "Ich habe sehr viel Verzweiflung und Aussichtslosigkeit gesehen", sagte Grande nach dem Besuch in Moria.
Migranten kamen auch über den griechisch-türkischen Grenzfluss Evros nach Griechenland. Nach Angaben des UNHCR überquerten seit Jahresbeginn bis zum 15. Dezember 14.312 Migranten den Fluss. Viele hoffen, schneller auf dem Landweg nach Mitteleuropa zu kommen, ohne in den Registrierlagern der Inseln stecken zu bleiben.
Erdoğan droht den Europäern immer wieder
Unterdessen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan der internationalen Gemeinschaft fehlende Unterstützung bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge vorgeworfen. Die Türkei habe im Oktober eine Offensive zur Schaffung einer Sicherheitszone in Nordsyrien gestartet, "damit die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können", sagte Erdoğan beim Globalen Flüchtlingsforum in Genf. Doch "niemand scheint entschlossen, uns zu helfen". Da die Türkei "nicht die erwartete Hilfe von der internationalen Gemeinschaft erhalten hat, waren wir gezwungen, uns um unseren eigenen Schutz zu kümmern", sagte Erdoğan weiter.
Die Türkei hatte im Oktober eine Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien gestartet, um sie von der Grenze zu vertreiben. Die türkische Regierung betrachtet die syrische Kurdenmiliz als Bedrohung, da sie eng mit den kurdischen PKK-Rebellen in der Türkei verbunden ist. Zuvor hatten die USA ihre Truppen von der Grenze abgezogen. Diese außenpolitische Entscheidung von US-Präsident Donald Trump hatte weltweit Empörung hervorgerufen. Bislang waren die USA mit den dort ansässigen kurdischen Kräften im Kampf gegen den "Islamischen Staat" verbündet.
Die Türkei verteidigte die international heftig kritisierte Intervention auch damit, dass sie in dem Gebiet einen Teil der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei ansiedeln wolle. Nach einer Woche schwerer Gefechte wurde mit den USA und Russland eine Waffenruhe für die Region vereinbart, die aber nicht eingehalten wird. So rückt die türkische Armee derzeit auf den Ort Tell Tamer vor, der außerhalb der geplanten sogenannten Sicherheitszone liegt. Die Türkei kontrolliert zudem einen Grenzstreifen zwischen den Städten Ras al-Ain und Tall Abjad, in dem sie nun Siedlungen für syrische Flüchtlinge bauen will.
Um das milliardenteure Projekt zu finanzieren, setzt die türkische Regierung auf Unterstützung aus Europa. Sollten die Europäer die Türkei nicht stärker unterstützen, könnte sie gezwungen sein, ihre Grenzen für syrische Flüchtlinge zu öffnen, droht Erdoğan immer wieder. Trotzdem stößt das Vorhaben zur Umsiedlung der Flüchtlinge international auf Ablehnung. Insbesondere gibt es Bedenken, dass Ankara die Flüchtlinge zur Rückkehr zwingt. 3,7 Million Syrer haben in der Türkei vor dem seit fast neun Jahren anhaltenden Krieg Zuflucht gefunden. Laut Erdoğan sind seit der Offensive bereits 371.000 syrische Flüchtlinge in das Gebiet gezogen.