Horst Seehofer kämpft gegen Rechtextremismus
Bundesinnenminister Horst Seehofer will rechtsextreme Beamte verstärkt überprüfen. Der Vorstoß könnte Folgen für AfD-Mitgliedschaften von Polizisten und Lehrern haben.
Öffentlicher Dienst steht nicht unter Generalverdacht
Seehofer erläutert, man könne von Einzelfällen reden, „aber der öffentliche Dienst und die Polizei allemal sind auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung angewiesen“. Ohne einen Generalverdacht zu erheben, müsse man ihn „besonders im Blick haben“. Einen Erfolg sieht Haldenwang darin, dass im öffentlichen Dienst eine Debatte in Gang gekommen ist. Er macht bei den Beschäftigten „ein ganz klares Wir-Gefühl“ aus, dass sie mit rechtsextremen Umtrieben nichts zu tun haben wollten und Verdachtsmomente „nicht verschwiegen werden“. Das sei „schon ein Wert“.
Es gibt eine linke Demo-Parole, die das Problem auf den Punkt bringt, das Horst Seehofer jetzt bekämpfen will – wenn auch unzulässig verkürzt. Sie lautet: "Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt." Die Parole spielt auf das Fehlverhalten von Polizei- und Verfassungsschutzbeamten bei den Ermittlungen zur rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" an. Sie wirft Staatsdienern Rechtsextremismus und Beihilfe zum Mord vor – in Form einer pauschalen, überspitzten Unterstellung.
Was nun aber selbst Seehofer anzuerkennen scheint: In den Reihen der Polizei, in der Bundeswehr, sogar im Verfassungsschutz gibt es immer wieder Probleme mit Rechtsextremisten. Etwa, wenn Bundeswehrsoldaten in rechten Chatgruppen über die Massentötung politischer Gegner fabulieren und den Umsturz planen – so geschehen im 2018 aufgeflogenen Hannibal-Netzwerk. Wenn eine Anwältin rassistisch bedroht wird und die Spur zu einem Polizeicomputer führt (wie im Fall von Seda Başay-Yıldız im August 2018). Oder wenn die Bundespolizei Disziplinarverfahren gegen Reichsbürger in den eigenen Reihen führt – gegen Staatsdiener also, die den Staat ablehnen, obwohl sie zu besonderer Verfassungstreue verpflichtet wären.
Verkürzt gesagt: Nazis morden, der Staat beschäftigt einige von ihnen.
"Alles Einzelfälle" – diese Antwort hörte man bislang meist, wenn man Vertreter der Polizei und der Innenministerien der Länder zu diesen Vorfällen befragte. Jetzt aber sollen 300 neue Stellen für die Bekämpfung von Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz geschaffen werden, ebenso viele bekommt das Bundeskriminalamt. Auch den öffentlichen Dienst will Seehofer verstärkt auf Rechtsextreme untersuchen lassen.
Der Vorstoß wirkt wie ein Eingeständnis
"Wir können von Einzelfällen sprechen", sagte Seehofer am Dienstag, "aber der öffentliche Dienst und die Polizei allemal ist auf ein besonderes Vertrauensverhältnis mit der Bevölkerung angewiesen." Ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, müsse man Beamte "stärker im Blick haben".
Der Vorstoß wirkt wie ein Eingeständnis, dass es sich um ein systematisches Problem handelt. Als sei der Staat nach vielen Warnzeichen aufgewacht und habe erkannt, dass er ein Problem mit rechtsextremen Netzwerken hat.
Dennoch taten sich Seehofer, Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und BKA-Chef Holger Münch auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag offenbar schwer damit, Begriffe wie "Ursachen" oder "Strukturen" zu benutzen. Ob es "Netzwerke" gebe, wollte Thomas Haldenwang noch überprüfen: Einige Vorfälle seien "möglicherweise Einzelfälle", sagte dieser, aber es seien eben "zu viele Einzelfälle, als dass man sie nicht doch noch einmal in ihrer Gesamtheit betrachten muss und schauen muss: Gibt es da Netzwerke?". Seehofer betont, nur gegen 0,1 Prozent der Bundespolizistinnen und -polizisten liefen Disziplinarverfahren wegen Rassismus und Antisemitismus.
Kein Wort fiel zu systemischen Faktoren, die es Nazis gerade in der Polizei leicht machen könnten: Etwa dazu, dass der Arbeitgeber Polizei tendenziell eher autoritär eingestellte Charaktere anzieht. Dass in Disziplinarverfahren gegen rechtsextreme Polizisten Vorgesetzte gegen ihre eigenen Mitarbeiter ermitteln, was die Aufarbeitung erschweren kann. Dass der Durchschnittspolizist weiß, männlich, konservativ ist.
Dass Seehofer nicht interessiert ist an der Kritik nationalkonservativer Einstellungen als Nährboden von Rassismus, ist keine Überraschung. Sein eigener Vorstoß verlangt von ihm dennoch einen Spagat. Als Innenminister muss er an der Seite seiner Beamten stehen, darf sie nicht unter Generalverdacht stellen. Zugleich will er rechts seiner Partei eine scharfe Trennlinie ziehen, die die Verfassungsfeinde von den Demokraten abspaltet.
Der verfassungsgemäße Umgang mit der AfD
Seehofers Vorstoß führt damit direkt zur Frage des verfassungsgemäßen Umgangs mit der AfD. Denn deren völkisch-nationalistischer Flügel sowie deren Jugendorganisation Junge Alternative (JA) werden vom Verfassungsschutz als Verdachtsfälle für rechtsextremistische Bestrebungen eingestuft. Der Rest der Partei steht nicht unter Beobachtung.
So könnten die 600 neuen Nazijäger in Zukunft bei jenen Beamten genauer hinsehen, die sich offen zu Flügel oder JA bekennen. Sollten sich bei ihnen Hinweise auf Verfassungsfeindlichkeit finden, drohen ihnen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst. Die bloße Aussicht könnte die AfD bereits schmerzen: Viele Polizisten, Lehrerinnen und Soldaten sind Mitglieder der Partei. Sollten die eines Tages um ihre Karrieren fürchten müssen, könnte dies die Partei schwächen.
2020 könnte sich diese Situation für die Mitglieder verschärfen. Dann, so Thomas Haldenwang, komme der Verfassungsschutz bei der Prüfung des Flügels wohl zu einem Ergebnis: "Er wird immer extremistischer."