"Green Deal" EU wird Klimaneutralität bis 2050 - bis auf Polen
Die neue EU-Kommission treibt ein Riesenprogramm
für ein klimafreundliches Europa voran. Details werden aber erst in den
nächsten zwei Jahren bekannt. Von der Leyen vergleicht das Projekt mit der
Mondlandung.
Die Europäische Union nimmt Anlauf, bis 2050 der
erste "klimaneutrale" Kontinent der Erde zu werden. Dafür
präsentierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch einen
Fahrplan, den sogenannten Green Deal, und verglich das Generationenprojekt mit
der ersten Mondlandung in den 1960er Jahren. Zuerst müssen aber beim EU-Gipfel
am Donnerstag alle EU-Staaten von dem neuen Klimaziel überzeugt werden. Davon
erhofft sich die EU Schub für einen Erfolg der Weltklimakonferenz in Madrid.
Klimaneutralität 2050 bedeutet, dass dann keine
neuen Treibhausgase aus Europa mehr in die Atmosphäre gelangen. Sie müssen
vermieden oder gespeichert werden. Damit soll das Pariser Klimaabkommen von
2015 umgesetzt und die globale Erwärmung möglichst bei 1,5 Grad gestoppt
werden. Genau um dieses Ziel geht es auch in Madrid, wo sich die
Staatengemeinschaft seit knapp zwei Wochen erneut über die genauen Regeln zur
Umsetzung des Pariser Abkommens streitet.
Dort forderte am Mittwoch die schwedische
Aktivistin Greta Thunberg erneut mehr Tempo beim Klimaschutz und kritisierte
die wohlhabenden Staaten. "2050 Treibhausgas-Neutralität zu erreichen,
bedeutet gar nichts, wenn die Emissionen inzwischen noch für ein paar Jahre
weitergehen wie bisher", warnte die junge Schwedin, die vom US-Magazin
"Time" zur Person des Jahres 2019 gekürt wurde.
Merkel bezeichnete den Klimakompromiss beim
EU-Gipfel in Brüssel als "großen Fortschritt".
"Ich bin unter den gegebenen
Umständen recht zufrieden", sagte sie in
der Nacht zum Freitag nach
Abschluss des ersten Gipfeltages in Brüssel. "Es gibt keine Spaltung
Europas in verschiedene Teile, sondern es gibt einen Mitgliedstaat, der noch
etwas Zeit braucht, um zu überlegen, wie das implementiert wird. Aber ich
denke, wir haben eine gute Aussicht auf einen guten Erfolg."
Als Angela Merkel in der Nacht zu
Freitag vor die Kameras tritt, betont sie die Geschlossenheit der Europäer.
„Eine Ost-West-Spaltung ist verhindert worden“, sagt die Bundeskanzlerin.
Angela Merkel nennt die Beschlüsse des EU-Gipfeltreffens zum Klima „insgesamt
einen großen Fortschritt“. Weiter sagt sie: „Wir bekennen uns alle zum Ziel,
dass wir bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität anstreben.“ Der entscheidende Satz
aber kommt erst noch: „Nur ein Mitgliedstaat konnte sich noch nicht
entscheiden.“
Tatsächlich weigert sich Polen
mitzumachen. Alle anderen 26 Mitgliedstaaten wollen jeweils für sich erreichen,
dass ihre Volkswirtschaft bis 2050 klimaneutral wird, dass sie also nicht mehr
Klimagase in die Atmosphäre blasen, als auf anderem Wege wieder entzogen werden
können. Bis auf Polen eben. Da die Staats- und Regierungschefs ihre Beschlüsse
auf den Gipfeltreffen immer einvernehmlich treffen, es ansonsten keine
Beschlüsse gibt, bedarf es schon sehr großer „Kreativität“, die der neue
Ratspräsident Charles Michel augenzwinkernd für sich beanspruchte, bei diesem
Abstimmungsverhalten von einer Einigung zu sprechen.
Das sind die Ziele
EU-Kommissionschefin von der
Leyen will in ihrem "Green Deal" beides: Klimaneutralität 2050 und ein
schärferes Etappenziel für 2030. Bis dahin sollen die Emissionen um 50 bis 55
Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Bisher hatte sich die EU ein Minus von
40 Prozent vorgenommen. Umweltschützer fordern sogar eine Verminderung um 65
Prozent binnen zehn Jahren. Doch schon um die anvisierten EU-Ziele zu
erreichen, ist ein grundlegender Umbau von Energieversorgung, Industrie,
Verkehr und Landwirtschaft nötig.
Der "Green Deal" ist im
Wesentlichen die Ankündigung von Gesetzentwürfen und Programmen für 2020 und
2021, die den Wandel bewerkstelligen sollen. Von der Leyen sprach von einem
Fahrplan zum Handeln. "Er hat 50 Aktionen bis 2050 für ein klima- und
umweltfreundliches Europa", sagte sie. "Unser Ziel ist, unsere
Wirtschaft mit unserem Planeten zu versöhnen und dafür zu sorgen, dass es für
unsere Menschen funktioniert." Es gehe um die Senkung der Treibhausgase,
aber in gleichem Maße auch um die Schaffung neuer Jobs und um ein neues
Wirtschaften.
Einzelne Punkte sind zum Beispiel
die Verschärfung der EU-Gesetze zur Energieeffizienz und zum Ausbau
erneuerbarer Energien. Die europäische Industrie, die künftig scharfe
Umweltauflagen erfüllen muss, soll mit einem "Carbon Border
Mechanism" vor klimaschädlich produzierten Billigimporten geschützt
werden.
Hintergrund der Forderungen der
Osteuropäer ist vor allem, dass sie Sicherheit über die EU-Finanzhilfen für den
Umbau ihrer Volkswirtschaften haben wollen. Polen bezieht seine Energie seit
Jahren vor allem aus der Kohleverstromung. Im Juni 2020 werde man hoffentlich
mehr Klarheit über die künftigen EU-Finanzen von 2021 bis 2027 haben, sagte
Bundeskanzlerin Merkel mit Blick auf die milliardenschweren polnischen
Forderungen.
Zuvor verständigten sich die Staats-
und Regierungschefs bei dem Spitzentreffen in Brüssel darauf, die
Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland trotz der Wiederbelebung des
Friedensprozesses für die Ostukraine bis Ende Juni 2020 zu verlängern.