Angst vor Attentaten: Erdoğans Schießbefehl
Anfang 2018 erklärte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan, er habe von Attentatsvorbereitungen erfahren. Eine dreiköpfige Bande sei nach Deutschland entsendet worden, um aus der Türkei geflohene Dissidenten zu ermorden. Von dieser Warnung aufgeschreckt, traf die Polizei umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen.
Letzte Woche hat nun Erdoğan gewissermaßen ganz offiziell gezielte Attentate angekündigt. Bezogen auf die Tötung des IS-Führers Al-Bagdadi durch die USA, sagte er: "Wenn manche Staaten Terroristen, die sie als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachten, aufspüren und liquidieren, egal wo sie sich befinden, heißt das, sie erkennen an, dass die Türkei dasselbe Recht hat." Und ergänzte: "Bald werden wir unserer Nation frohe Botschaft in dieser Sache verkünden." Erdoğans Äußerung bezog sich auf den YPG-Chef Mazlum Kobanê, der ins Weiße Haus geladen wurde, obwohl er in der Türkei als Terrorist gilt.
Als Mitte vergangener Woche im Spiegel stand, der Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft in Ankara sei unter Spionageverdacht festgenommen worden, richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Regimegegner im deutschen Exil. Der bereits seit dem 17. September inhaftierte Anwalt hatte die Aufgabe, Informationen über Asylsuchende aus der Türkei zusammenzutragen. Bei der Durchsuchung seines Büros konfiszierte der türkische Geheimdienst mehrere Tausend Akten und gelangte dadurch vor allem an Kenntnisse über Gülenisten und PKK-Mitglieder, die nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 nachDeutschland gegangen waren.
In Sorge vor einer bevorstehenden Operation mahnten die deutschen Sicherheitsbehörden die entsprechenden Dissidenten nun zur Vorsicht. Beim G20-Gipfel in Japan drückte Außenminister Heiko Maas dem türkischen Amtskollegen seine Besorgnis aus.
Zeitgleich durchsuchte die deutsche Polizei 52 Wohnungen und Firmen eines Netzwerks, das rund 200 Millionen Euro in die Türkei geschleust haben soll, der Hauptverdächtige wurde verhaftet. Manche werten diese Aktion als Vergeltung für die Verhaftung des Anwalts im September. Ob es stimmt oder nicht: Die deutsch-türkischen Beziehungen, die sich nach dem Sturm im letzten Jahr gerade erst beruhigt hatten, sind erneut erschüttert.
Ungewiss, wen Erdoğans "frohe Botschaft" ins Visier nehmen wird, doch sollte es zu Anschlägen auf Regimegegner aus der Türkei in Deutschland kommen, ist schon jetzt klar, wer dafür verantwortlich zu machen sein wird ...