Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Merkel und Macron .. Das seltsame Verhältnis

Samstag 30.November.2019 - 01:53
Die Referenz
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(Focus online) Für Angela Merkel und Emmanuel Macron galt schon immer: zwei Menschen, zwei grundverschiedene Temperamente. Mittlerweile aber gibt es immer mehr Themen, bei denen die mächtigsten Politiker Deutschlands und Frankreichs auseinanderliegen. Nato, EU, Umgang mit USA und Russland – zu vielen Punkten gibt es Meinungsverschiedenheiten. Nur das oder gibt es echten Krach?



Es gab eine Zeit, da standen französische Präsidenten unter dem Verdacht einer Merkel-Hörigkeit. Kritiker verspotteten Nicolas Sarkozy daheim als „Pudel“ der Kanzlerin. Die Chefin der ultrarechten Front National, Marine Le Pen, begrüßte Francois Hollande bei einem Besuch im Europaparlament einmal als „Vizekanzler von Deutschland“. Nun, einen solchen Verdacht lässt der aktuelle Präsident Frankreichs definitiv nicht aufkommen. Emmanuel Macron spielt auf eigene Rechnung. Mit Schwung, mit Show und mit forschen Thesen, die er in einem Tempo vorträgt, dass kaum einer mitkommt.


Ob mit seiner These zum „Hirntod“ der Nato, seinem erbitterten Widerstand gegen EU-Beitrittsverhandlungen von Nordmazedonien und Albanien – Macron gefällt sich in der Rolle des großen Disruptors, als Mann der vieles in Frage stellt und alles aufmischt. Und vor allem: Als einer, der ausspricht, was andere nur zu denken wagen. In Temperament und Ton war der Mann schon immer der leibhaftige Anti-Merkel. Was aber Beobachter in beiden Ländern zunehmend alarmiert: Mittlerweile trennen die beiden auch immer mehr inhaltliche Punkte. Auch grundlegende Fragen wie das Verhältnis zu den USA und Russland

Porzellan blieb ganz, Haussegen hängt schief

Kürzlich setzte die „New York Times“ in die Welt, es haben zwischen Macron und Merkel bei einem Abendessen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Berliner Schloss Bellevue einen heftigen Streit gegeben. „Ich bin es müde, die Scherben aufzulesen. Immer wieder muss ich die Tassen zusammenkleben, die du zerbrochen hast, so dass wir uns wieder gemeinsam hinsetzen und Tee trinken können" soll sie gesagt haben. Sowohl in Paris als auch in Berlin wurde das zwar dementiert. Nur: Viele konnte sich vorstellen, dass eine solche Bemerkung tatsächlich gefallen war. Und das spricht Bände.

An besagtem Abend habe es „weder Klage noch Wut oder Streit“ gegeben, betont Regierungssprecher Steffen Seibert. Wohl aber sei es „um die oft unterschiedlichen politischen Herangehensweisen Deutschlands und Frankreichs an Themen und Herausforderungen“ gegangen. Sprich: Das Porzellan blieb ganz, aber der Haussegen hing schon ein bisschen schief. Merkel erklärte in dieser Woche im Bundestag, der Erhalt der Nato sei im „ureigenen Interesse“ Deutschlands. Und: „Europa kann sich zurzeit alleine nicht verteidigen.“ Das mag man auch als Tele-Botschaft an Macron sehen, dass das Bündnis noch unter den Lebenden weilt und die USA in diesem Bündnis weiter dringend gebraucht werden.

Maron legt ständig vor und nach

Macron legt mittlerweile im Zwei-Tages-Rhythmus vor und nach. Er erklärt die Nato für Hirntod, Merkel will die Nato wieder fit machen. Er will eine rein europäische Verteidigungspolitik. Das hält sie für eine große Überschätzung. Er will mehr Nähe zu Russland, drängte neulich sogar, Russland solle wieder die G8-Staaten komplettieren. Auch Merkel will eine Partnerschaft mit Russland, die aber in gepflegter Distanz. Dass der Franzose sich in einem Brief an Putin aufgeschlossen zeigte, dessen Moratorium für Mittelstreckenmarschflugkörper zu prüfen, irritierte nicht nur Teile der Bundesregierung, sondern auch andere Nato-Partner.

„Das deutsch-französische Verhältnis war schon immer sehr von den jeweiligen Akteuren geprägt. Vom Naturell her tun sich Macron und Merkel sehr schwer miteinander“, hat der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber beobachtet. Da gebe es dann auf beiden Seiten Irritationen. „Man glaubt immer, die Franzosen seien der Inbegriff an Diplomatie und die Deutschen seien ganz direkt – manchmal ist es eben auch genau umgekehrt“, meint ein Frankreich-Kenner in Berlin. Aber am Ende kämen Frankreich und Deutschland doch immer zusammen.

Der umschmeichelte Trump nannte Macron „foolish"

Man kann sich ausmalen, dass es Merkel insgeheim auch ein bisschen amüsiert, wie Macron jetzt die große Emanzipation von jenem Donald Trump beschwört, den er zunächst mit einer pompösen Militärparade in Paris und einem Dinner auf dem Eifelturm zu umgarnen versucht hatte. Als der Franzose dann aber gegen die amerikanischen Digital-Giganten Steuern verhängte, quittierte Trump das mit dem Hinweis, Macron sei „foolish“, blöde. Merkel musste bei Trump nie so weit zurückrudern, weil sie sich nie so weit rausgewagt hatte. Es ist genau dieses Verhältnis zum Risiko, das die beiden so unterschiedlich macht.

Die Liberale Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, blickt ziemlich sorgenvoll auf die Gesamtentwicklung. „Das ist bedauerlich, denn trotz aller Streitigkeiten steht für mich fest: Der deutsch-französische Motor ist unverzichtbar, wenn Europa wieder erfolgreich in Fahrt kommen soll!“ Beer sieht die beiden so: Merkel stehe für den „verzweifelten Versuch von Kontinuität“, der immer häufiger „in Untätigkeit abdriftet“, Macron zeige zwar den großen Wunsch nach Reform, Aufbruch und positiver Veränderung, im Ergebnis aber gebe es „provokative Alleingängen“.

„Alleingänge sind Gift"

Die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt, in Frankreich aufgewachsen, hält das Verhältnis der beiden für „derzeit problematisch“. Sie macht sich da ernste Gedanken.  „Zwischen deutschem Kanzler und französischem Präsidenten gab es bei allen Unterschieden der Temperamente bisher immer den Willen zur Zusammenarbeit. Das scheint derzeit kaum der Fall zu sein", sagt Gebhardt bedauernd. „Alleingänge sind Gift für die Europäische Union. Ich appelliere an beide, damit aufzuhören und sich mit den Kolleginnen und Kollegen abzustimmen!“ Alles andere schade der EU. „Und Trump, Putin sowie die chinesische Regierung lachen sich ins Fäustchen."

Hinter den Kulissen aber tut sich offenbar mehr. Da wird zwischen Deutschen und Franzosen ständig auf verschiedenen Ebenen verhandelt. Zum Beispiel das: Für die von Macron verhinderten EU-Beitrittskandidaten Nordmazedonien und Albanien könne man vielleicht Bewegung bei dem Franzosen erreichen, wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ein starkes Mandat bekomme für eine Reform der EU, so ist auf der deutschen Seite zu hören. Darüber jedenfalls wird in diesen Tagen auf verschiedenen Ebenen gesprochen. Es wäre ein typischer Fall: Deutschland und Frankreich starten von grundverschiedenen Ausgangspunkten, stehen aber im Ergebnis oft genug für eine gemeinsame Lösung.

Macron wohl noch verstimmt

Mehrere Merkel-Vertraute betonen in diesen Tagen, dass die Kanzlerin ihr Verhältnis mit dem Franzosen – trotz inhaltlicher Divergenzen – nicht als problematisch, sondern als intakt einstuft. „Die laufen sich doch ständig über den Weg“, meint einer. Da sehe man Diskussionen lässig, auch wenn es manchmal „temperamentvoller“ zur Sache gehe. Die beiden könnten doch nicht nur wegen der Medien ständig eine neue Show hinlegen. Kohl haben das mal mit Francois Mitterand so gemacht. Nach einem einstündigen Gespräch seien sie fertig gewesen. Wegen der Medien aber hätten sie sich drei Stunden in unterschiedliche Ecken des Kanzlerbüros gesetzt und andere Arbeiten erledigt, um später von einem ganz intensiven vierstünden Gespräch zu berichten. Was der Gesprächspartner mit dieser Anekdote sagen will? Merkel macht halt nicht so viel Show.

Doch Macrons Verstimmung hat sich offenbar noch nicht gelegt. Ihn soll noch immer der Verdacht umtreiben, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, Spitzenkandidat der Konservativen bei der Europawahl, habe sich an ihm gerächt. Macron hatte Weber als EU-Kommissionpräsidenten verhindert. Später fiel dann Macrons erste Kandidatin für den französischen EU-Kommissars-Posten, Sylvie Goulard, bei den parlamentarischen Anhörungen durch. Weber ist als Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) einer der einflussreichsten Strippenzieher im Parlament. Für die belgische Tageszeitung „La Libre Belgique“ roch das nach Rache der Deutschen an Macron.

Am Ende steht oft echtes Teamwork

Der Vertreter der EU-Kommission in Berlin, Jörg Wojahn warnt derweil vor Alarmismus. „Die deutsch-französische Achse funktioniert immer noch. Aber sie ist nicht die einzige Achse, auf der der europäische Zug rollt.“ Er billigt Macron zu: „Es belebt das Geschäft, wenn einer sich pointiert äußert, dann müssen andere aus der Deckung kommen.“ Beleg: Deutschland und Frankreich haben kürzlich erst ein gemeinsames Papier zur Konferenz über die Zukunft der EU vorgelegt, die von der Leyen plant. Nach den Berliner und Pariser Vorstellungen soll sie im Februar nächsten Jahres beginnen und während der deutschen EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres in die intensive Arbeitsphase gehen, um ihre Tätigkeit dann Anfang 2022 unter französischer Präsidentschaft abzuschließen. Teamwork halt.

Auch die Abgeordneten beider Länder pflegen den direkten Draht. Der Co-Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentarischen Versammlung, Andreas Jung (CDU), sagte FOCUS Online zur Beziehung zwischen Merkel und Macron: „Ich sehe nicht, dass das Verhältnis getrübt wäre.“ Die Parlamentarische Versammlung versuche – ergänzend zu den Regierungen – Positionen der beiden Länder zusammenzuführen. „Wir werden im Februar eine Resolution zur Verteidigungspolitik und eine zur Kultur- und Bildungspolitik gemeinsam machen.“ Auch aus den Parlamenten heraus würden so Themen vorangetrieben. 50 deutsche und 50 französische Abgeordnete tagen dabei gemeinsam, ringen um Positionen. „Bei der deutsch-französischen Zusammenarbeit geht es im Kern um die Freundschaft beider Völker“, betont Jung.

Diese Beziehung wird zwar oft harten Bewährungsproben unterzogen. Aber zu dieser Freundschaft gehört es offenbar auch, dass man sich hin und wieder die Wahrheit sagt. Kurz: Sie lebt.

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