New York Times greift Merkels Regierung an: „unfähig zu handeln und nicht willens zu sterben“
Montag 04.November.2019 - 01:01
Berlin/Brüssel (Merkur) - Die Große Koalition hinkt dem Jahresende entgegen - erst am Sonntagabend haben Union und SPD wieder einmal eine lange erwartete Entscheidung vertagt. Der eher traurige Zustand der Koalition in Berlin fällt offenbar auch im Ausland auf: Die New York Times hat am Wochenende eine Analyse zur politischen Lage der EU veröffentlicht. Eine unrühmliche Hauptrolle spielen darin die Bundesrepublik und ihre Kanzlerin.
Times-Korrespondent Steven Erlanger spart nicht mit drastischen Diagnosen: Von einer „Zombie-Koalition“ ist die Rede, „unfähig zu handeln und nicht willens zu sterben“; von der Bundeskanzlerin Merkel als „lame duck“ - und von Emmanuel Macron, der sich aufmache, ein Führungsvakuum in Europa auszufüllen.
Noch mehr ins Gewicht als die kommentierenden Worte des Journalisten fallen aber Experten-Äußerungen in dem Artikel. Und harsche Merkel-Kritik aus eigenen Reihen. Der frühere CDU-Hoffnungsträger Norbert Röttgen (mittlerweile Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag) äußert sich in harten Worten.
Angela Merkel und die CDU: Röttgen übt scharfe Kritik - „Sie weiß alles und tut nichts“
„Deutschland ist derzeit ein kompletter Ausfall in allen Belangen“, zitiert das US-Blatt Röttgen. „Ich kann keine europapolitische Linie erkennen, der Außenminister ist ein Ausfall und die Kanzlerin weiß das alles und tut nichts“, sagte der CDU-Mann weiter. Merkels Außenminister Heiko Maas hatte zuletzt mit einem Auftritt in der Türkei für Unmut gesorgt.Es gebe einen „Zusammenbruch von Kompetenz und Energie“, sagte Röttgen weiter. Eine ungewöhnliche drastische Äußerung - die einmal mehr vermuten lässt, neben der SPD hätten mittlerweile auch Teile der CDU die GroKo gehörig satt. Und mit ihr womöglich auch die Kanzlerin Angela Merkel.
Die unangenehmen Worte treffen dabei just mit heftigen Debatten in der CDU zusammen. Auch Merkel steht dabei nach dem flauen CDU-Ergebnis in Thüringen in der Kritik. Friedrich Merz hatte vergangene Woche den Reigen eröffnet. Jeder erwarte „politische Führungen und klare Aussagen“, doch die blieben aus, sagte er im ZDF.
Seit Jahren lege sich deswegen ein „Nebelteppich“ über das Land. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Art des Regierens noch bis Ende 2021 so weiter geht“, orakelte er vielsagend. Merz will offenbar auch beim kommenden CDU-Parteitag in die Offensive gehen.
Merkel und die GroKo: Röttgen legt im ZDF nach
In der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ am Sonntagabend legte Röttgen nach. Die große Koalition stelle sich im Grunde immer nur die Frage, wie sie im Amt bleiben könne. Maßstab müsse aber sein, sich den Problemen zu stellen, die die Menschen beunruhigen und auch Europa handlungsfähiger zu machen. Mit Blick auf seine Äußerungen in der New York Times betonte der CDU-Politiker nun, er habe sich zur Sache geäußert.
Wenig schmeichelhaft fiel allerdings auch die Einschätzung des britischen Politikwissenschaftlers Mark Leonard in dem Bericht der New York Times aus. Es gebe eine „Verschiebung im Gleichgewicht der Mächte in Europa“, urteilt er. „Mit dem Abflauen der Euro- und der Flüchtlingskrise ist Deutschland wesentlich weniger wichtig für die Organisation der Europäischen Union geworden.“ Mittlerweile habe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Warten auf Deutschland aufgegeben - und scheue auch keinen Konflikt mit Berlin mehr.