Merkel wird in Indien wie eine Königin hofiert
Freitag 01.November.2019 - 10:34
Neu-Delhi (Welt) - Eine Art Heiligenschein umgibt die Kanzlerin. Neu-Delhi schmeichelt Angela Merkel, mit auffallend verbreiterten Schultern, mit tiefroten Lippen und einem filmstargleichen Lächeln. Der gesamte Weg vom Flughafen zu ihrem Hotel ist im Abstand von wenigen Dutzend Metern mit großen Merkel-Plakaten geschmückt. „Willkommen“ steht darauf in Deutsch und Hindi. Aber auch in der Stadt, an allen Straßen, die die Kanzlerin bei ihrem zweitägigen Besuch anlässlich der fünften deutsch-indischen Regierungskonsultationen auch nur streift, finden sich die großen Tafeln. Als stünde Merkel hier bald zur Wahl.
Auf einigen Plakaten teilt sie sich den Platz mit Narendra Modi, dem indischen Premier. Merkels Besuch ist für ihn innenpolitisch ein echtes Pfund. Dass Merkel nur mit drei Ministern angereist ist, den Ressortchefs für Landwirtschaft, Forschung und Außenpolitik, quittieren die Inder mit Gleichmut. In anderen Ländern würde da genauer durchgezählt, in China etwa. Nicht so hier, hier kommt es allein auf Merkel an.
Demonstriert wird dies auch beim Empfang mit militärischen Ehren am Rashtrapati Bhavan, dem Amtssitz des Präsidenten. Während der Premier ohne Pomp mit dem Auto vorfährt, aussteigt und sich gleich zu den übrigen Delegationsteilnehmern stellt, muss Merkel allein zur Mitte des gewaltigen Vorplatzes gehen, um die Hymnen abzunehmen. Modi bleibt indes, wo er ist. Das ist Tradition in Indien, und doch gibt es diesmal einen Unterschied. Merkel im roten Blazer sitzt wie zuletzt üblich bei der Zeremonie. Und die Inder haben ihr fast einen Thron unter den dunkelroten Baldachin auf das Podium gestellt. Merkel als Monarchin.
Später, bei der Pressekonferenz mit Modi, steht sie wieder auf einem Podest, dabei ist der Gastgeber genauso groß wie sie. Bei diesem Besuch wird der arge Kontrast offensichtlich zwischen der Debatte um die Kanzlerin in Deutschland und ihrer internationalen Reputation. Mancher zu Hause wirft ihr vor abgetaucht, entrückt zu sein, die Dinge nur noch laufen zu lassen.
In Indien käme niemand auf die Idee, Merkels Regierung als „grottenschlecht“ auch nur wahrzunehmen, geschweige denn sie so zu bezeichnen, wie es Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz getan hat. Als „eine der Führungspersönlichkeiten in der Welt, eine Freundin Indiens, eine persönliche Freundin für mich“, rühmt sie Modi.
Am Donnerstag, als die Kanzlerin nach Indien aufbrach, fühlten sich dagegen 15 CDU-Abgeordnete aus dem Bundestag sogar bemüßigt, der Kanzlerin per Aufruf zu Hause beizuspringen. Sie forderten ein Ende der Debatten in der CDU über die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, aber auch über die Leistung der Bundeskanzlerin. Eine solch konzertierte Aktion ist auch deshalb selten, weil Parlamentarier damit als Verteidiger der Regierung auftreten. Das entspricht nun wirklich nicht ihrer Berufsbeschreibung. Doch es zeigt, wie aufgewühlt die CDU derzeit ist. Diejenige, die neben Kramp-Karrenbauer im Zentrum der Kritik steht, scheint von all dem in keiner Weise angefochten. „Ich freue mich, dass ich für meine Arbeit auch sehr viel Unterstützung habe. Wir leben in Demokratien, da müssen wir mit Kritik umgehen“, sagt sie in Delhi. Mehr lässt sie sich nicht entlocken.
Merkel hat wohl einfach eine ganz andere Vorstellung davon, was das Tagesgeschäft einer Kanzlerin im Jahr 2019 zu sein hat. Parteiinterne Scharmützel oder das Parieren einer Merz’schen Suada gehören nicht (mehr) dazu. Sehr wohl aber die Pflege und der Erhalt von internationalen Allianzen, die Unterstützung von Partnern, die wie Indien noch an den Multilateralismus und an ein regelbasiertes Handelssystem glauben. Darüber hinaus versucht sie mitzuhelfen, dass das Kräfteungleichgewicht in bestimmten Regionen nicht zu groß wird.
Indien spielt dabei in Asien für die Kanzlerin eine zentrale Rolle. In Deutschland wird das Land vor allem als Akteur im Kaschmir-Konflikt mit Pakistan wahrgenommen.
„Wirtschaftsbeziehungen könnten besser sein“
Das entspricht einer typischen deutschen Neigung, Länder vor allem danach zu bewerten, ob sie irgendwo Probleme machen. Für Indien ist der Konflikt eine innenpolitische Angelegenheit. Außenminister Heiko Maas (SPD) gestand den Indern diese Sicht der Dinge in einem Interview am Anreisetag auch zu. Darüber berichteten Zeitungen sogleich auf Titelseiten.
Nein, die Bundesregierung ist sicher nicht gekommen, um Indien diesbezüglich zu belehren. In der Abschlusserklärung findet sich dazu kein Wort. Und auch Merkel bleibt zurückhaltend. Sie werde Modi sagen, dass man auf Deeskalation und auf Entspannung setze, sagt sie vor dem Abendessen mit dem Premier. Viel wichtiger ist ihr aber offensichtlich etwas anderes: „Ich habe vernommen, dass sich Indien stärker im multilateralen Verbund einbringen wird.“ Der Premier habe das mehrfach betont.
In puncto Außenpolitik hat die Bundesregierung mit Sorge registriert, dass sich China in Afghanistan verstärkt einbringt. Die Amerikaner wollen ihre Präsenz dort zurückfahren, das ruft auch Russland auf den Plan. Deutschland beobachtet, wie die Region von diesen Mächten in Einflusssphären gegliedert wird. Hier kommt Indien ins Spiel. Es ist nahe genug dran und groß genug, um Einfluss auszuüben. Im Abschlussdokument wird explizit darauf hingewiesen, dass man gemeinsam an einem „prosperierenden Afghanistan“ arbeiten wolle. Wie? Das wird nicht beantwortet. Die Dokumente, die anlässlich der Regierungskonsultationen verabschiedet wurden, formulieren vor allem Absichtserklärungen und Herausforderungen.
Premier Modi hat einen Welt-Yoga-Tag begründet. Dahinter steckt aber weniger die Absicht, zur Entschleunigung der Menschheit beizutragen. Für den Nationalisten Modi, der das Hindutum als überlegen betrachtet, dient dies auch der Popularisierung eines Hinduismus mit freundlichem Antlitz. In der Politik geschieht halt nichts ohne Absicht.
Ob die Kanzlerin ein Faible für Yoga hat, ist nicht bekannt. Solange sie noch im Amt ist, täte aber ihren Kritikern bestimmt die ein oder andere Yogastunde ganz gut.
Indien ist in einer Phase, da es seine außenpolitischen Ambitionen neu sortiert und gewichtet. Dabei spielt das Verhältnis zu China die Schlüsselrolle. Für Merkel steht das Verhältnis der Länder für einen Systemwettbewerb zwischen zwei vergleichbar wichtigen Milliardenvölkern. Bezogen auf den Wohlstand breiter Massen wird der Wettbewerb aber gerade vom autokratischen China und nicht vom demokratischen Indien für sich entschieden. Deshalb will die Kanzlerin mithelfen, die indische Wirtschaft zu stärken. Dabei sind die Erfolge noch immer überschaubar. „Unsere Wirtschaftsbeziehungen haben zugenommen, sie könnten noch besser sein“, sagt sie. Demokratische Entscheidungsprozesse brauchen eben Zeit, in Deutschland wie in Indien.
Dicke Luft in Neu-Delhi
Eine der größten, vor denen speziell Neu-Delhi, aber auch viele andere Megastädte in Indien stehen, kann die Kanzlerin vor Ort riechen, schmecken, sehen, ob sie will oder nicht. Der Smog hängt so unbeweglich in den Straßen und zwischen den Häusern, dass der Aufenthalt im Freien gesundheitsschädlich ist. Es sieht aus wie November in Deutschland, nur bei 30 Grad, und der Nebel stinkt. Die Werte liegen an diesen beiden Besuchstagen um das Achtfache über dem zulässigen Grenzwert.
Dagegen sind die von hohen Feinstaubwerten belasteten Kommunen in Deutschland Luftkurorte. Premier Modi sieht in Deutschland ein Vorbild in der Umwelttechnik. „Wir wollen im Bereich E-Mobilität, Brennstoffzellen, Smart Cities, der Reinigung der Flüsse unsere Zusammenarbeit verbessern“, sagt er. Merkel bietet Deutschlands Hilfe an im Bereich Umwelttechnologien. Ferner müssten die Standards verbessert werden. Bis Neu-Delhi aber wieder durchatmen kann, wird es Jahrzehnte dauern.
Deutschland kann freilich auch noch etwas lernen. Vielleicht sogar schneller. Unter dem Schmunzeln der mitgereisten deutschen Minister und Staatssekretäre wird eine Vereinbarung zur akademischen Zusammenarbeit bei Ayurveda, Yoga und Mediation verkündet. Auf indischer Seite schaute man dabei keineswegs so amüsiert wie auf deutscher. Ein ganzes Ministerium kümmert sich schließlich um die Pflege von Yoga.