Debatte in Frankreich über das Kopftuch: Senat stimmt ab, um das Tragen des Kopftuchs zu verhindern
Frankreich streitet erneut über Kopftücher, Nikabs und
Burkas. Ganz Frankreich? Nein: Präsident Macron will Muslime nicht
stigmatisieren. Aber selbst in den liberalsten Vierteln von Paris haben sie es
schwer.
Meine sechsjährige Tochter
besucht jetzt die erste Klasse der französischen Grundschule in unserem Pariser
Quartier. Sie muss pünktlich zum Schulschluss um 18 Uhr abgeholt werden. Neben
mir wartet dann oft die halbverschleierte Mutter einer Klassenkameradin, die,
wie ich auch, noch einen Sohn in der Vorschule nebenan hat.
Außer der Hautfarbe
scheint die Kinder nichts zu unterscheiden. Aber es fällt auf, dass die Mutter
mit niemanden spricht, wo doch sonst, beim Warten vor der Schule, alle munter
miteinander quatschen. Ich habe sie schon deshalb mehrmals angesprochen. Aber
sie schaut mich nicht an, und ihre Antworten bleiben schmallippig.
Über verschleierte oder
Kopftuch tragende Mütter wie diese streitet gerade ganz Frankreich. Eine von ihnen besuchte
kürzlich in Begleitung der Schulklasse ihres Sohnes ein Regionalparlament im
Burgund und trug dabei ihre Kopfbedeckung, wie immer. Dafür stellte sie ein
regionaler Abgeordneter des rechtsextremen Rassemblement National (RN) zur
Rede, ihr Kind musste weinen. Und nun sagen laut Umfragen drei Viertel der
Franzosen, dass Mütter mit Kopftuch oder Schleier - wie die, die so oft abends
neben mir steht - an Schulausflügen nicht mehr teilnehmen sollen.
Diese Debatte in
Frankreich ist genau 30 Jahre alt. Im Jahr 1989 unterzeichneten vorrangig
linksliberale Intellektuelle unter Führung des Philosophen Alain Finkielkraut
ein Manifest gegen das Tragen von Kopftüchern in den staatlichen Einrichtungen
der Republik, darunter Schulen, Rathäuser und das Parlament. Sie beriefen sich
auf den in einem Gesetz von 1905 garantierten Laizismus der französischen
Republik, der dem Staat verbiete, mit jeglicher Religion gemeinsame Sache zu
machen. Seither ist zum Beispiel Religionsunterricht an öffentlichen Schulen,
wie in Deutschland üblich, in Frankreich undenkbar.
Wofür ist Frankreich
selbst verantwortlich?
Ursprünglich diente das
vor über 100 Jahren erlassene Gesetz zur Abgrenzung von der in Frankreich
damals noch mächtigen katholischen Kirche. Heute aber befürchten Kritiker wie
Finkielkraut die islamistische Unterwanderung: "Unsere Gesellschaft zählt
immer mehr ihrer erklärten Feinde in den Reihen derer, die ihr beitreten",
schreibt der in der Sache immer noch aktive 70-Jährige in seinem gerade
erschienenen Werk "In erster Person". Und diese Feinde, so glauben
offenbar die meisten Franzosen mit ihm, sind nicht zuletzt an Kopftüchern oder
Schleier erkennbar.
Das heute von Marine Le Pen geführte RN ist mit
dieser nicht aufhörenden Debatte groß geworden. Immer wieder geht es um die
Frage: Wie viel Schuld lässt sich dem Islam zuweisen und wofür ist Frankreich
selbst verantwortlich? Nach den Pariser Attentaten von Herbst 2015, die 130
Todesopfer forderten, schien wieder klar: Der (radikale) Islam ist schuld.
Allerdings fiel schon damals einer aus der Reihe: Frankreichs heutiger
Präsident Emmanuel Macron. Er zählte nach den Attentaten zu den seltenen Stimmen,
die auf die französische Eigenverantwortung aufgrund der Integrationsprobleme
arabisch geprägter Jugendlicher in den Vorstädten hinwiesen.
"Man darf Mitbürger
nicht stigmatisieren"
Ein bisschen ist es heute
wieder so: Ganz Frankreich erregt sich, aber Macron zieht nicht mit. "Man
darf Mitbürger nicht stigmatisieren", warnte er auf dem jüngsten
deutsch-französischen Gipfel im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das
war, fand ich, auch auf die Verschleierte vor unserem Pariser Schultor gemünzt.
Hatte ich sie nicht angesprochen, um mich genau diesem Stigma zu widersetzen?
Die Gesetzesvorlage steht im Zusammenhang mit einer
heftigen Debatte über Säkularismus und Kopftuch in Frankreich, die durch den
Angriff auf die Bayon-Moschee im Südwesten am Montag (28. Oktober) stark
angeheizt wurde. Sowie der Vorfall von Dijon, der sich vor ungefähr zwei Wochen
ereignete. Am 11. Oktober griff Julian Odol, ein Mitglied der rechtsextremen
Nationalen Rallye-Partei, eine verschleierte Frau, die ihren Sohn auf einem
Schulausflug begleitete, verbal an und bat sie, ihren Schleier zu entfernen.
Der französische Präsident Emmanuel
Macron äußerte sich zu dem Vorfall in Dijon, der zu der Kontroverse führte,
dass "es nicht seine Sache ist", sich und seine geteilte Partei von
einem heiklen Thema in der französischen Gesellschaft zu distanzieren.
Der Angriff auf die Bayonne-Moschee,
der eine weitere Wiederholung der hitzigen Debatte über das Kopftuch und den
Säkularismus in Frankreich auslöste, veranlasste den französischen Präsidenten,
seine Position zum Säkularismus klar zu formulieren. Hass und Spaltung ",
sagte er und benutzte den Säkularismus als Deckmantel," um gegen diese
oder jene Religion zu kämpfen. "
"Der Säkularismus ist weder eine Ablehnung der
religiösen Realität noch ein Instrument gegen die Religionen", sagte er