Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Merkel erhält den Theodor-Herzl-Preis für ihr Engagement für jüdisches Leben in Deutschland

Dienstag 29.Oktober.2019 - 12:36
Die Referenz
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Berlin (Spiegel) - Es ist eng, obwohl der Hubert Burda-Saal im Gemeindezentrum der israelitischen Kultusgemeinde München schon die Dimensionen einer Sporthalle hat. Bis kurz vor Beginn der Veranstaltung werden Stühle hinzugebracht, es ist kaum noch ein Durchkommen. Die Arbeit des Servicepersonals hat mehr mit Choreografie und Akrobatik zu tun als mit Gastronomie. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Münchner Israelitischen Gemeinde findet das gut: "Ich wollte halt, dass sehr viele kommen."

Heute Abend wird Angela Merkel den Theodor-Herzl-Preis des World Jewish Congress verliehen, eine der höchsten Ehren der jüdischen Welt. Und so sind auch alle anderen gekommen, die in München den Staat und die Gesellschaft repräsentieren: der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der Oberbürgermeister Dieter Reiter sowie diverse Minister und Abgeordnete. Der Chef von BMW ist da, die Schauspielerin Maria Furtwängler und der Generalbundesanwalt. Als wollte die ganze Republik an die Seite der jüdischen Gemeinde rücken. Der Platz vor dem Gebäude glänzt schwarz und leer, die Sicherheitsvorkehrungen sind beeindruckend.

Drinnen ist es hell und warm. Der Organisator des Abends Maram Stern verrät, dass Charlotte Knobloch beinah seine Schwiegermutter geworden wäre, aber es kam zu keiner Hochzeit. Als die Bundekanzlerin den Saal betritt, stehen alle auf, als sei sie die Queen. Merkel amüsiert es, und es freut sie wohl auch. Ministerpräsident Söder hält ein Grußwort, verspricht Taten statt Worte im Kampf gegen den Antisemitismus. Er redet über viele Themen, auch über Fake News und warnt: "Der Pfad der Unwahrheit führt immer ins Nirwana" - meint aber wohl nicht den höchsten Zustand buddhistischer Spiritualität.

Dann beginnt Ronald Lauder, der Präsident des World Jewish Congress seine Laudatio. Er findet warme Worte über Deutschland, die Kulturgeschichte, die Leistungen der Nachkriegszeit und natürlich über die Kanzlerin, denn er möchte ihr ja gleich einen Preis überreichen. Aber er muss auch etwas sagen. Da ist ja nicht nur das Attentat von Halle, da ist auch der Wahlabend in Thüringen. Da sind die Bilder aus Fußballstadien, wo Arme zum Hitlergruß gehoben werden, der Fall des Messerangreifers in der Berliner Synagoge, den die Polizei wieder laufen ließ. Und die Frage, wo die Polizei war, als der Schütze vor der Tür der Synagoge in Halle war.

Drängende Fragen: Was passiert den Leuten, die den Hitlergruß machen?

Und das alles hat noch tiefere, hat soziale und kulturelle Grundlagen: Lauder führt eine Umfrage an, nach der immer noch viel zu viele Deutsche viel zu viel Unsinn über Juden glauben. Es ist keine leichte Rede. Formal ist es die Laudatio auf den Herzl-Preis für die Kanzlerin. Sie hat schon 2008 in der Knesset die Sicherheit Israels als Staatsräson der Bundesrepublik ausgewiesen. Sie ist eine Freundin der jüdischen Sache, das Thema liegt ihr besonders am Herzen.

Aber Lauder kann an diesem Abend nicht nur loben. Dazu ist die Lage zu ernst. Seine Rede war bereits geschrieben, als die Höcke-AfD in Thüringen ihren Erfolg verbuchen konnte. Also schrieb er über Nacht alles wieder um.

Nach der Veranstaltung, die Kanzlerin wurde wieder mit stehendem Applaus verabschiedet, treffen wir Ronald Lauder zu einem kurzen Gespräch. Seine Augen tränen - eine allergische Reaktion auf die Blumendekoration. Es würde aber auch zu seiner Einschätzung der Lage passen. "Die Lage in Deutschland ist sehr ernst. Ihr seid ein Rechtsstaat - aber gibt es Gesetze gegen eine Neonazi-Partei? Was passiert den Leuten, die den Hitlergruß machen? Was sagt das aus über Deutschland?" Und dann kommt er auf diesen ewig langen Moment der tödlichen Einsamkeit, den die jüdische Gemeinde durchleiden musste: "Halle ist nicht so groß. Warum brauchte die Polizei so lange, um zur Synagoge zu kommen?"

Die Angst kommt wieder, die Wut ebenfalls

Seine Fragen zielen genau auf diese Kluft, den Spielraum, den Staat und Gesellschaft den Antisemiten lassen. Die Ausflüchte, das Wegsehen, die bequeme Nachsicht. Wieder und wieder. Lauder spricht auch die ewigen Vorurteile an, selbst unter den Eliten des Landes halten sich alte Vorstellungen von der ominösen Macht der Juden.

In die Schulen müsse man gehen, und zwar lange vor der Oberstufe. Man müsse die Polizei und die Lehrer fortbilden, nicht immer nur reden. Er entwickelt einen ganzen Katalog an Maßnahmen, der sofort gegen den grassierenden Antisemitismus angebracht werden sollte. Er ist viel ungeduldiger, als es auf der Bühne den Anschein hatte. Die Sorge ist brennender, als es sich im Rahmen solch eines Festes darstellen ließe - ein Fest, auf dem der Zusammenhalt dargestellt wird, wo Fröhlichkeit und Mut entstehen. Aber danach kommt die Angst wieder, die Wut auch.

Und Organisator Maram Stern, findet ein Schlusswort, halb Beschwörung halb Zauberspruch: "Es darf hier nicht wieder passieren."
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