Seehofer will Gamerszene stärker beobachten - und erntet Kritik
Montag 14.Oktober.2019 - 11:51
Berlin (Tageschau) - Das Urteil ist vernichtend: "Wie kann man seinen Job immer und immer wieder so sehr verkacken? Er und seine Crew sind echt so krass inkompetent," schreibt YouTuber Rezo. Er meint damit Horst Seehofer. Anlass für die vernichtende Kritik ist eine Äußerung des Bundesinnenministers in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin, die vorab auf Twitter veröffentlicht und dort vielfach kommentiert und kritisiert wurde.
Mit Blick auf das Attentat von Halle forderte Seehofer, "die Gamer-Szene stärker in den Blick" zu nehmen. Hintergrund ist, dass der mutmaßliche Täter seine Tat live auf einer Plattform streamte, die auch von vielen genutzt wird, die online Videospiele spielen oder anschauen. Und dass er in einem im Internet veröffentlichten Schreiben, das seine Tat flankierte, Formulierungen aus der Gaming-Welt benutzte.
"Es ist eine Schande"
Im Fall von Erfurt hatte es eine große Debatte über "Killerspiele" gegeben, weil der Attentäter, der 16 Menschen ermordete, gewaltverherrlichende Computerspiele konsumiert hatte. Ähnliche Diskussionen folgten auch nach anderen Amoktaten. Zusammenhänge zwischen Computerspielen und realer Gewalt sind wissenschaftlich aber umstritten.
Doch das Netz wehrt sich, sieht in der Äußerung des Ministers einen Generalverdacht gegen Computerspieler. "Auch dieser junge Mann hat sich in der Gamerszene radikalisiert", twittert der deutsch-israelische Satiriker Shahak Shapira. Dazu zeigt er eine Fotomontage von Hitler mit einer Virtual-Reality-Brille, wie sie Gamer nutzen.
Peter Smits, der als PietSmiet mit Gamingvideos im Netz erfolgreich ist, erkennt eine Parallele zu Reaktionen auf den Amoklauf von Erfurt 2002. "Auch damals war es für Politiker leichter, die Schuld den Videospielen zuzuschieben, statt an echten gesellschaftlichen Problemen zu arbeiten. Wie in dem jetzigen Fall beispielsweise Rechtsextremismus. Es ist eine Schande und unwürdig."
Gegen den Generalverdacht
Und selbst in der Union regt sich Widerspruch. Die Junge Union verabschiedete bei ihrem Jahrestreffen einen Antrag zur Förderung der Computerspielebranche durch den Bund und schrieb dazu "Gamer fördern statt verfolgen". Der parteinahe Digitalverein C-Netz bittet den Innenminister, "keine schlimmen antisemitischen Anschläge zur Diskreditierung vieler Menschen" zu instrumentalisieren.
Einmütigkeit in der Sache herrschte bei vielen Politikern der Opposition auf Twitter. Das seien "Sinnlos-Debatten", findet Linken-Chef Bernd Riexinger. Ähnliches Unverständnis äußert FDP-Vorsitzender Christian Lindner: "Mir fallen so viele Maßnahmen ein, die ergriffen werden sollten, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Die Gamerszene unter Generalverdacht zu stellen, ist keine davon." Für die digitalpolitische Sprecherin der AfD, Joana Cotar, hat Deutschland "wahrlich viele Probleme - die Gamer gehören aber ganz sicher nicht dazu".
Auch vom Deutschen Kulturrat, dem Branchenverband Game und vom Koalitionspartner hagelt es Kritik. "Wahnsinn", twittert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Es gehe weder um Einzeltäter noch um Gamer, sondern um Nazis, die moderne Kommunikation nutzten. "Es wäre gut, wenn der Innenminister das begreift." SPD-Digitalpolitiker wie Tiemo Wölken ("Quatsch") und Saskia Esken ("Strohfeuerdebatten") kritisieren Seehofer scharf.
Radikalisierung und Frauenfeindlichkeit
Doch es gibt auch andere Stimmen. "Das Problem heißt Rechtsextremismus, nicht Gaming", schreibt die bayrische Grünenpolitikerin Katharina Schulze auf Twitter, ergänzt dazu aber: "Wer sich jedoch systematisch mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus auseinandersetzt, kann vor Radikalisierungstendenzen und Frauenverachtung in speziellen Räumen der Gamerszene nicht die Augen verschließen."
Doch es gibt auch andere Stimmen. "Das Problem heißt Rechtsextremismus, nicht Gaming", schreibt die bayrische Grünenpolitikerin Katharina Schulze auf Twitter, ergänzt dazu aber: "Wer sich jedoch systematisch mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus auseinandersetzt, kann vor Radikalisierungstendenzen und Frauenverachtung in speziellen Räumen der Gamerszene nicht die Augen verschließen."
Auch die Journalistin Sophie Paßmann verweist auf Probleme "mit Rassismus, Rechtsradikalismus und vor allem Frauenfeindlichkeit", die es auf bestimmten Spieleplattformen und in Onlineforen gebe.
Fakt ist: Videospiele verschiedenster Art werden von Millionen von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Interessen rund um den Globus gespielt. Und zwar friedlich. Allerdings herrscht in manchen Netzforen und Chats, in denen sich die Communitys bestimmter Spiele treffen, zum Teil ein rauer Ton, der in Hass kippen kann. Im Fall von "Gamergate" wurden 2014 nordamerikanische Spieleentwicklerinnen und Digitaljournalistinnen von zumeist anonymen Hetzern online angegriffen und gemobbt.
Seehofer reagiert
Der Bundesinnenminister will seine Äußerung nun differenzierter verstanden wissen. Über den Twitteraccount seines Ministeriums lässt er verlauten, dass man derzeit alle Facetten prüfe, wie Rechtsextremismus besser bekämpft kann: "Wir sehen, dass Rechtsextremisten das Internet und auch Gaming-Plattformen als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbrauchen. Ob analog oder digital: Wir wollen Rechtsextremisten überall dort bekämpfen, wo sie aktiv sind."