Merkel wird hart kritisiert: „Lassen uns nicht von einer Kraut herumschubsen“
Mittwoch 09.Oktober.2019 - 02:17
Berlin (Reuters) - Schon vor dem Brexit-Referendum mobilisierten die Befürworter des EU-Austritts mit Verweisen auf ihre humanitäre Flüchtlingspolitik ihre Anhänger. Nach dem Brexit-Beschluss gaben dann auch pro-europäische Kommentatoren Merkel die Mitschuld am EU-Austritt der Briten — weil ihre Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 den Brexiteers Munition geliefert habe.
Während der Verhandlungen über einen Brexit-Deal in den vergangenen Jahren war es dann ebenso häufig Merkel, die von den Briten als Schuldige benannt wurde, wenn die EU keine Zugeständnisse machte.
Das geht bis heute so: Nach einem Telefonat Merkels mit dem britischen Premierminister Boris Johnson wurde von der britischen Regierung am Dienstag die Darstellung verbreitet, Merkel habe ein Brexit-Abkommen als überaus unwahrscheinlich bezeichnet, sollte Nordirland nicht in der Zollunion mit der Europäischen Union (EU) bleiben. So könne man einen Deal mit der EU praktisch vergessen: „Nicht nur jetzt, sondern immer.“
Die Brexit-Lobbyorganisation LeaveEU, die schon während des Wahlkampfs vor dem Brexit-Referendum Stimmung für den EU-Austritt und gegen Merkel machte, nahm diese Nachricht zum Anlass, die Bundeskanzlerin öffentlich zu attackieren — und das mit einem derben Plakat.
Brexit-Befürworter attackieren Merkel mit Weltkriegsvergleich
In den sozialen Medien teilte LeaveEU ein Bild Merkels, dazu setzten die Aktivisten den Spruch: „Wir haben keine zwei Weltkriege gewonnen, um uns von einer Kraut herumschubsen zu lassen.“ Der Begriff „Kraut“ leitet sich vom Wort Sauerkraut ab und wurde während der beiden Weltkriege von britischen und US-amerikanischen Soldaten als herablassende Bezeichnung für die Deutschen insgesamt und deutsche Soldaten im Besonderen benutzt. Der LeaveEU-Post sorgte in Großbritannien für heftige Kritik. Der Parlamentsabgeordnete Chris Leslie (Independent Group for Change) sagte am Dienstag während einer Debatte im britischen Unterhaus: „Ich möchte auf die aufrührerische Darstellung des Telefonats mit Angela Merkel durch die Regierung hinweisen, die natürlich eine Serie von rassistischen Attacken auf die Deutschen durch LeaveEU und andere hervorgerufen hat.“
Selbst Anhänger des EU-Austritt uns von LeaveEU distanzierten sich auf Twitter unter dem Hashtag „NotInMyName“ (“NichtInMeinemNamen“) von dem Plakat gegen Merkel. LeaveEU löschte den Beitrag über die Bundeskanzlerin schließlich und entschuldigte sich dafür.
Vize-Premierminister Michael Gove antwortete daraufhin: „Ich möchte diese Möglichkeit ergreifen, um mich komplett von solchen rassistischen und herabwertenden Aussagen gegenüber Deutschland zu distanzieren. Die Deutschen sind unsere Freunde, sie sind unsere Verbündeten und ein großartiges Land.“
LeaveEU löscht Merkel-Plakat nach Rassismus-Vorwürfen
Auch Politiker der britischen Oppositionsparteien äußerten ihre Kritik. Der Labour-Abgeordnete David Lammy bat die Deutschen auf Twitter sogar um Entschuldigung: „Bitte glaubt nicht, dass diese fremdenfeindliche Galle von LeaveEU alle Briten repräsentiert.“