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US-Rückzug aus Syrien: Trump ebnet den Weg für Erdogan und islamischen Staat

Montag 07.Oktober.2019 - 01:37
Die Referenz
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Berlin (Welt) - Donald Trumps Zustimmung zu einer türkischen Offensive gegen die Kurden in Nordostsyrien dürfte der schwerste Fehler in der Nahost-Politik des amerikanischen Präsidenten sein. Doch die Tragödie, die jetzt droht, haben auch die Europäer verschuldet, und in jedem Fall könnte Europa den höchsten Preis dafür zahlen. Denn jetzt drohen lange Kämpfe, eine Kettenreaktion der Destabilisierung und eine neue Stufe der Erpressbarkeit für Deutschland und die EU.

Nach Angaben des Weißen Hauses hat der Präsident in einem persönlichen Telefongespräch mit seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zugesagt, dass die USA Teile ihrer Truppen in Nordostsyrien zurückziehen und nicht einschreiten werden, wenn die türkischen Streitkräfte die kurdische YPG-Miliz in diesem Gebiet angreifen.

Die YPG, die im Nordosten Syriens seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 die Kontrolle übernommen hat, ist der wichtigste Bündnispartner Amerikas und Europas im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Ohne die kurdischen Kämpfer wäre der IS weder in Syrien noch im Irak zurückgedrängt worden. Fast alle wichtigen Zentren der Terrormiliz wurden unter großen Opfern von kurdisch geführten Truppen befreit.

Weil die YPG aber mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei verbunden ist, will Erdogan schon seit Jahren in ihr Gebiet in Syrien einmarschieren und die Miliz „ausrotten“, wie er es im Kommunalwahlkampf dieses Jahr formulierte. Immer wieder hatte er Amerikas Zustimmung eingefordert, erbeten, beschworen. Doch Diplomaten und Generäle hatten Präsident Trump stets davon abgeraten, Erdogan nachzugeben.

Der IS formiert sich gerade neu

Aus mehreren Gründen. Erstens ist der IS noch nicht besiegt, er formiert sich gerade neu, und für seine Bekämpfung braucht es weiter die Kurden. Zweitens würden neue Kämpfe gegen die Kurden eine erhebliche Destabilisierung Nordostsyriens bedeuten, wo die Kurden gemeinsam mit sunnitischen und christlichen Arabern ein in Teilen demokratisches und multiethnisches Gemeinwesen aufgebaut haben. Diese Kräfte könnten nun versuchen, sich mit dem Assad-Regime zu verbünden.

Drittens würde dadurch auch der Iran gestärkt, denn das Kurdengebiet liegt mitten in jenem Korridor zum Libanon und zur israelischen Grenze, den Teheran für sich erkämpfen will. Wenn die Kurden sich Irans Bündnispartner Assad anschließen, ist für die Iraner der Weg nach Israel endgültig frei. Viertens könnte die Destabilisierung andere Länder mitbetreffen, denn auch im Irak, im Iran und natürlich in der Türkei liegen kurdische Siedlungsgebiete.

Schon im Dezember 2018 hatte Trump einen Rückzug der amerikanischen Einheiten angekündigt, die die YPG im Kampf gegen den IS unterstützen. Verteidigungsminister James Mattis war daraufhin zurückgetreten.

In der Folge hatten Militärs und die Nahost-Experten des State Department Trump überzeugen können, ein kleines Kontingent im Kurdengebiet zu belassen und einen türkischen Einmarsch zu verhindern. Zugleich hatten US-Politiker und Militärs versucht, einen europäischen Beitrag zur Sicherung der Region zu erreichen.

Im Juli dieses Jahres hatte der amerikanische Syrien-Sonderbeauftragte James Jeffrey in WELT AM SONNTAG deutsche und europäische Bodentruppen in Nordostsyrien gefordert. Die USA könnten die Verantwortung nicht mehr nur allein wahrnehmen.

Zudem müsse ein Wiedererstarken des IS und eine Dominanz des Iran in der Region verhindert werden. Schon Anfang des Jahres hatten der republikanische Senator Lindsey Graham und der damalige US-Generalstabschef Joseph Dunford auf der Münchner Sicherheitskonferenz um Unterstützung der Europäer in Nordostsyrien geworben.

Europäer haben ihr Mitspracherecht verschenkt

Nichts von all dem hatte bei den Europäern erkennbaren Erfolg. Von europäischen Truppen für die Verbündeten im Kampf gegen den IS war nirgends die Rede. Mit solchen Kontingenten hätten die Europäer ein Mitspracherecht gehabt bei der Zukunft Nordostsyriens. Jetzt müssen sie tatenlos zuschauen. Dabei sehen Europa und Deutschland jetzt besonderen Risiken entgegen, wenn die USA die Kurden wirklich im Stich lassen.

Ein Erstarken des IS dürfte auch mehr Anschläge bedeuten – und zwar eher in Europa als in den USA. Außerdem befinden sich in den Gefangenenlagern der Kurden zahllose europäische IS-Kämpfer. Deutschland, Frankreich und Großbritannien zögern seit Jahren, sie in ihre Heimat zurückzuführen und dort vor Gericht zu stellen, wie es die Kurden und Amerikaner seit Langem fordern.

Was passiert mit diesen hoch radikalisierten und kampferfahrenen Terroristen, wenn der Westen sein Bündnis mit den Kurden aufkündigt? Mehrere Gefahren drohen: Im Zuge der Kämpfe hätten es die IS-Gefangenen vermutlich deutlich leichter zu fliehen; die Rückkehr der Europäer in ihre Heimat und die Verübung weiterer Anschläge dort wäre nicht unwahrscheinlich; und die anderen entflohenen Gefangenen dürften sich der Miliz vor Ort wieder anschließen und sie so um besonders wertvolle Kämpfer bereichern.

Eine andere Gefahr könnte entstehen, wenn die Gefangenenlager unter türkische Kontrolle geraten. Zwar ist es durchaus möglich, dass die Türkei bei der Sicherung der Gefangenen und der Verfolgung ihrer Taten gemeinsam mit Europa und den USA einen konstruktiven Beitrag leistet. Schließlich kooperieren türkische und europäische Geheimdienste immer wieder bei der Terrorbekämpfung.

Andererseits ist die Kooperationswilligkeit der Regierung Erdogan erwiesenermaßen vom wechselnden Kalkül des Staatschefs abhängig. Und Erdogan liebt es, Europa zu erpressen. Das hat sich in der Migrationsfrage gezeigt, wo sich der türkische Präsident als nicht immer berechenbarer Schleusenwärter geriert, der seinen Preis selbst bestimmt. Wenn Erdogan dasselbe Spiel mit Terroristen spielen sollte, wäre das ungleich gefährlicher.

Ohnehin wurde Erdogans Regierung immer wieder der heimlichen Unterstützung für den IS verdächtigt. Die meisten europäischen Kämpfer schlossen sich dem IS an, indem sie über die Türkei nach Syrien einreisten. Es gab Berichte über türkische Waffenlieferungen an Extremisten in Syrien.

Und im Gebiet von Idlib hat die Türkei die Verantwortung für die letzten Überreste des Al-Qaida-Ablegers HTS übernommen – bekommt die Radikalen aber seit Monaten nicht in den Griff. Es darf also durchaus infrage gestellt werden, ob Erdogan ein besserer Verbündeter im Kampf gegen den IS ist als die Kurden.

Doch was wird nun aus den Kurden? Als die USA 1991 darauf verzichteten, nach dem gewonnenen Krieg gegen Saddam Husseins Irak den Diktator mit einer Invasion zu stürzen, stachelten sie stattdessen die Kurden zu einem Aufstand an – und ließen sie dann im Stich. Saddam ermordete in der Folge zahllose Kurden, die sich auf die Unterstützung Amerikas verlassen hatten.

Diesen Verrat verziehen sie den USA jahrzehntelang nicht. Ob sie einen neuerlichen Verrat in Syrien – am Ende des gemeinsamen Kampfes gegen den IS – jemals vergessen werden? Der Westen schafft sich einen Feind, wo er einen Verbündeten hatte.
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