Erdbeben in Türkei erschüttert Region vor Istanbul
Die Angst vor einem verheerenden Erdbeben ist in Istanbul
allgegenwärtig. Die Stadt mit rund 16 Millionen Einwohnern liegt an der sogenannten
Nordanatolischen Störung, einer Grenze zwischen der eurasischen und der
anatolischen Erdplatte. Firmen entwerfen Notfallpläne, Privatleute haben
sogenannte Go-Bags mit allem Nötigen fertig gepackt neben Haustüren stehen, und
Schulen bringen Kindern bei, wie sie sich zu benehmen haben, wenn die Erde
wackelt.
Wissenschaftler um den
Kieler Geophysiker Dietrich Lange vom Geomar Helmholtz-Zentrum für
Ozeanforschung haben nun vor den Toren der Stadt erhebliche tektonische
Spannungen entdeckt. Sie würden reichen, um ein Beben der Stärke 7,1 bis 7,4
auszulösen, schreiben sie im Fachblatt „Nature Communications“.
Erster direkter Nachweise
über Spannungsaufbau
Der untersuchte Abschnitt
der Nordanatolischen Störung liegt unter dem Marmarameer, also unter Wasser. Ob
sich die Plattengrenzen dort bewegen oder verhaken, konnte bisher nur indirekt
untersucht werden, zum Beispiel mit Beobachtungen von Land. Nun haben die
Forscher zweieinhalb Jahre lang mit dem am Geomar entwickelten Messsystem
GeoSEA Daten in 800 Metern Wassertiefe gesammelt. Durch sogenannte akustische
Abstandsmessung sei erstmals eine direkte Messung der Plattenbewegung möglich
geworden, heißt es in einer Geomar-Mitteilung.
„Zu starken Erdbeben kommt es, wenn sich
die Störungszone verhakt. Dann bauen sich tektonische Spannungen auf, die sich irgendwann
in einem Moment entladen“, sagte Lange. Die neuen Messungen seien der erste
direkte Nachweis über den Spannungsaufbau am Meeresboden südlich von Istanbul.
„Wenn sich die
angestaute Spannung während eines Erdbebens löst, würde sich die Verwerfungszone
auf einen Schlag um mehr als vier Meter bewegen“, sagte GeoSEA-Projektleiterin
Heidrun Kopp. Ein solches Ereignis könnte laut der Geomar-Mitteilung für
Istanbul ähnlich weitreichende Folgen haben wie ein Beben 1999 für die
Stadt Izmit, die ebenfalls an der Nordanatolischen Störung liegt. Damals waren
mehr als 17 000 Menschen gestorben.
Forscher wollen "keine Panik auslösen"
Wann das nächste große Beben komme, sei unklar. „Wir sind
nicht in der Lage, den Zeitpunkt zu prognostizieren“, sagte Kopp. Die Forscher
wollten mit der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse „keine Panik auslösen“. Sie
rechnen zwar nicht mit einer verheerenden Tsunami-Welle, aber mit
schweren Schäden in Istanbul.
In der Stadt selbst wird die latente
Gefahr immer wieder ignoriert. Jedes Jahr stürzen schlecht gebaute Wohnhäuser
ein - unter anderem mürbe gemacht durch die vielen kleineren Erdbeben, die
Istanbul regelmäßig erschüttern. Stadtplaner wie die bekannte Architektin
Mücella Yapici warnen seit Jahren, dass große offene Flächen, die im Zentrum
als Zufluchtsorte eingetragen wurden, längst zugebaut sind.
An einer deutschen Schule in Istanbul
lernen Schüler, mit Trillerpfeifen auf sich aufmerksam zu machen, falls sie
verschüttet werden. Wer Glück hat, wohnt in einem neuen und
verantwortungsbewusst gebauten Mietshaus - oder einem alten, das nachträglich
mit dicken Stahlbetonsäulen verstärkt wurde. In manchen Häusern ziehen diese
Säulen sich wie ein Rückgrat mitten durch die Wohnzimmer.
Erdbeben in Istanbul: Neues Messsystem zeigt, wie groß die
Bedrohung ist
Der untersuchte Abschnitt
der Nordanatolischen Störung liegt unter dem Marmarameer, also unter Wasser. Ob
sich die Plattengrenzen dort bewegen oder verhaken, konnte bisher nur indirekt
untersucht werden, zum Beispiel mit Beobachtungen von Land.
Nun haben die Forscher
zweieinhalb Jahre lang mit dem am Geomar entwickelten Messsystem GeoSEA Daten
in 800 Metern Wassertiefe gesammelt. Durch sogenannte akustische
Abstandsmessungen sei erstmals eine direkte Messung der Plattenbewegung möglich
geworden, heißt es in einer Geomar-Mitteilung.