Steinmeier zu 30 Jahre Mauerfall: "Viele Ostdeutsche fühlen sich bis heute nicht gehört"
Dienstag 17.September.2019 - 04:58
Berlin (Spiegel) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die "Härten des Umbruchs" gewürdigt, die die Menschen im Osten nach dem Mauerfall erlebt haben. "Viele Ostdeutsche fühlen sich bis heute nicht gehört, geschweige denn verstanden", sagte Steinmeier.
Bei "Geteilte Geschichte(n): Von Erwartungen und Enttäuschungen" diskutierten die ostdeutsche Schriftstellerin Jana Hensel ("Zonenkinder") und die westdeutsche Filmemacherin Regina Schilling ("Kulenkampffs Schuhe") mit Moderatorin Maybrit Illner.
Ihre Geschichten seien kein selbstverständlicher Bestandteil unseres gemeinschaftlichen Wirs geworden. 30 Jahre nach dem Mauerfall sei es höchste Zeit, dass sich das ändere, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident sprach von "neuen, tiefen Rissen", die sich auch in Wahlergebnissen wie zuletzt in Brandenburg und Sachsen zeigten. Er äußerte Verständnis für die Unzufriedenheit in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, in denen die jungen Leute weggingen. Es sei wichtig, dass Politiker vor Ort unterwegs seien und zuhörten, was die Menschen umtreibe.
Bei beiden Landtagswahlen am 1. September hatte die rechtspopulistische AfD deutlich mehr als 20 Prozent der Stimmen erzielt, in Sachsen ließ die regierende CDU (32,1 Prozent) die AfD (27,5 Prozent) nur knapp hinter sich. In Thüringen wird am 27. Oktober gewählt, auch dort wird ein Ergebnis von um die 20 Prozent prognostiziert.
Unzufriedenheit kein Freibrief
Steinmeier hatte die AfD im Gespräch mit dem SPIEGEL zuletzt vergleichsweise scharf kritisiert: Wenn sich die Partei als bürgerlich präsentiere, müsse er sich schon die Augen reiben. Bürgertum, Rechtsstaat und individuelle Freiheitsrechte gehörten zusammen, sagte der Bundespräsident dem SPIEGEL. "Wer sich in dieser Tradition sieht, der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen. Das ist das Gegenteil von bürgerlich: Es ist antibürgerlich." AfD-Vertreter zeigten sich empört.
Nun sagte Steinmeier im Rahmen der Ost-West-Reihe "Geteilte Geschichte(n): Von Erwartungen und Enttäuschungen", Unzufriedenheit sei kein Freibrief. Es gebe Grenzen im demokratischen Streit. Wer Hass und Hetze verbreite und wer mit neonazistischen Netzwerken paktiere, der überschreite diese Grenzen.