Istanbuls Bürgermeister Mit dem Rotstift gegen Erdogan
Seine Wahl im
Juni war eine Sensation. Nun treibt Ekrem Imamoglu, Istanbuls neuer
Bürgermeister, die Regierungspartei AKP vor sich her. Er streicht
Erdogan-Günstlingen das Geld - und inszeniert sich selbst als Saubermann.
Der Yenikapi-Platz ist eines jener Großprojekte, mit
denen sich Recep Tayyip Erdogan im Stadtbild von Istanbul verewigt hat.
Entstanden auf einer künstlich aufgeschütteten Halbinsel, erstreckt sich die
270.000 Quadratmeter große Fläche zu Füßen des historischen Stadtzentrums. Hier
hat der türkische Präsident nach dem Putschversuch 2016 vor Hunderttausenden
Anhängern gesprochen - und ausgerechnet hier hat CHP- Bürgermeister Ekrem
Imamoglu vergangene Woche Erdogans AK-Partei bloßgestellt.
Hunderte Dienstwagen der Stadtverwaltung ließ der
Oppositionspolitiker auf dem Platz aufreihen. Imamoglu prangert damit die
angebliche Verschwendung öffentlicher Gelder an, die er seinem Vorgänger aus
der AKP vorwirft. "Mein Ziel ist, die Vergeudung in dieser Stadt zu
unterbinden", sagte er.
Insgesamt wurden 730 Fahrzeuge
ausgestellt, 1247 Fahrzeuge wurden aus dem System genommen. Die Anschuldigungen
Imamoglus wiegen schwer. Die alte Stadtverwaltung soll die Wagen teilweise
parteinahen Personen zur privaten Nutzung überlassen haben, auch sollen sie von
Unternehmen aus dem Umfeld von Erdogans Partei vermietet worden sein - zu
höheren Raten als üblich. Ohne die Fahrzeuge will die Stadtverwaltung nun fast
acht Millionen Euro im Jahr an Miet- und Benzinkosten einsparen.
"Stadtverwaltungs-Business ist
kein Showbusiness"
Bei den Istanbulern gab es Beifall
für die Ausstellung des Fuhrparks. Innenminister Süleyman Soylu zeigte sich
hingegen verärgert. "Stadtverwaltungs-Business ist kein
Showbusiness", sagte der AKP-Politiker. Istanbuls neuer Bürgermeister treibt
die AKP zunehmend vor sich her.
Bereits am 31. März gewann Imamoglu
mit hauchdünner Mehrheit die Kommunalwahlen. Wenig später wurde das Ergebnis
auf Druck der AKP annulliert. Die Partei fürchtete offenbar, dass ein
Bürgermeister der Opposition offenlegen könnte, wie korrupt sie in Istanbul
regiert hat. Islamisch-konservative Parteien stellten seit 1994 durchgehend den
Bürgermeister von Istanbul, dem wirtschaftlichen Zentrum der Türkei.
Mit
den Neuwahlen am 23. Juni endete diese Ära.
Imamoglu
gewann ein zweites Mal - nun allerdings mit deutlichem Vorsprung. "Das
System der Verschwendung" sei vorbei, kündigte er nach Bekanntgabe der
Ergebnisse an. Seit seinem offiziellen Amtsantritt am 27. Juni zeigt der
CHP-Politiker, dass er es ernst meint.
Millionen für
AKP-nahe Stiftungen gestrichen
In weniger als
drei Monaten hat Imamoglu mehreren AKP-nahen religiösen Stiftungen die Gelder
gestrichen:
§ Die größte
Summe soll bis dahin an die Tügva geflossen sein. Im Beirat der Bildungsstiftung
sitzt Erdogans Sohn Bilal Erdogan.
§ Die Türgev
wurde 1996 von Erdogan gegründet, heute sitzt dessen Tochter Esra Erdogan im
Aufsichtsrat. Türgev vergibt Stipendien an
Studenten und stellt Wohnheimplätze bereit.
§ Auch Ensar
bekam jedes Jahr eine große Summe - sie bietet Wohnheimplätze und
Religionsunterricht. Trotz eines 2016 öffentlich gewordenen Missbrauchsskandals
wurde die Stiftung weiter mit öffentlichen Geldern unterstützt.
§ Die Aziz
Mahmud Hüdayi Foundation wird geleitet vom Bruder des ehemaligen Istanbuler
Oberbürgermeisters Kadir Topbas (AKP).
Durch die
Streichung der Gelder sollen jährlich mehr als 56 Millionen Euro eingespart
werden. Betroffen vom Sparkurs des neuen Bürgermeisters ist auch die
regierungsnahe TürkMedia-Gruppe. Im August kündigte Imamoglu bestehende
Werbeverträge der Stadtverwaltung. Etwa 1,6 Millionen Euro kostete das die
Stadt bis dahin jeden Monat. TürkMedia hat auf den Verlust des Großkunden mit
weitreichenden Personalkürzungen reagiert.
Das
eingesparte Geld wolle Imamoglu künftig für soziale Zwecke verwenden, kündigte
er an. Allein entscheiden kann er das allerdings nicht - im Stadtrat hat noch
immer die AKP die Mehrheit. Die Sitzungen des Stadtparlaments werden
mittlerweile live übertragen. Das erhöht die Transparenz und erschwert es
Imamoglus Gegnern, sich gegen gemeinnützige Investitionen zu stellen.
"Das ist
erst der Anfang", kommentierte Imamoglu seine ersten Amtshandlungen.
Künftig wolle man ein Beispiel für das ganze Land sein, sagte er. Busse und
Bahnen in Istanbul fahren - wie im Wahlkampf versprochen - seit Ende August
rund um die Uhr. Und auch das Führungspersonal in einigen wichtigen
Stadtdirektionen wurde ausgetauscht. Verantwortlich für den Bereich
Stadtplanung ist seit Kurzem Gürkan Akgün - ein Unterstützer der Gezi-Proteste.