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Merkel trifft Mitsotakis: der griechische Ministerpräsident bittet um mehr Investitionenen in Griechenland

Donnerstag 29.August.2019 - 02:51
Die Referenz
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Berlin (Spiegel) - Für Angela Merkel eine neue Erfahrung: Kyriakos Mitsotakis wird der erste griechische Ministerpräsident seit Beginn der Schuldenkrise sein, der die Kanzlerin bei seinem Besuch in Berlin nicht um Hilfe oder wohlwollendes Eingreifen bittet.

Die Botschaft, die aus dem Lager des kürzlich gewählten konservativen Regierungschefs kommt, zeugt von einem neu gewonnenen Selbstvertrauen in Athen. Beim Treffen mit Merkel am Donnerstagmittag - dem ersten zwischen der Kanzlerin und einem griechischen Ministerpräsidenten nach Auslaufen des letzten Euro-Rettungspakets - möchte Mitsotakis als Regierungschef eines Landes wahrgenommen werden, das nicht länger von der Großzügigkeit seiner Partner abhängig ist.

Vom Geächteten zum Wunderkind

Noch vor kurzem galt Griechenland als das Sorgenkind Europas. Mitsotakis ist jedoch der Ansicht, dass sich sein Land mittlerweile zu einer Oase der politischen Stabilität und des soliden wirtschaftlichen Potenzials entwickelt hat. Und das in einer Zeit, in der Europa vor mehreren großen Herausforderungen steht: vom Risiko einer Rezession und der Aussicht auf einen harten Brexit bis zu den politischen Turbulenzen in Italien und den weltweiten Auswirkungen des Handelskrieges zwischen den USA und China.

Für Griechenland sieht es tatsächlich gut aus:

▪ Die Wirtschaft wächst.
▪ Das Land, vor nicht allzu langer Zeit noch ein Geächteter am Anleihenmarkt, bekommt nun günstigere Kredite als die USA.
▪ Der Athener Aktienmarkt weist im laufenden Jahr die bisher beste Wertentwicklung in Europa auf.
▪ Und Anfang der Woche gab Mitsotakis die Abschaffung aller verbleibenden Kapitalverkehrskontrollen bekannt. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass das Land zur Normalität zurückkehrt, dem derzeitigen Modewort in Regierungskreisen.

Lockerung der Sparmaßnahmen muss warten

Das weckt Vertrauen. Um die Stimmung beim Treffen mit der Kanzlerin nicht zu vermiesen, wird Mitsotakis ein Thema in Berlin dennoch meiden: Neuverhandlungen über die Vorgaben der Rettungsaktion, die sein Vorgänger Alexis Tsipras ausgehandelt hatte.

Athen hatte 2015 zugestimmt, bis 2022 einen jährlichen Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent zu erreichen und den Haushalt danach für Jahrzehnte im Plus zu halten. Ein wesentliches Wahlversprechen von Mitsotakis war es, dieses Ziel zu senken. Er glaubt, dass größere finanzpolitische Spielräume die Wirtschaft ankurbeln könnten. Und ihm gleichzeitig die Möglichkeit geben werden, seine Versprechen auf geringere Ausgaben und Steuersenkungen einzuhalten - und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die nach wie vor die höchste in Europa ist.

Die Kreditgeber der EU zögern jedoch damit, die vereinbarten Ziele herabzusetzen. Schließlich soll durch die Vorgaben sichergestellt werden, dass Griechenland seinen enormen Schuldenberg langfristig abbauen kann - ohne weitere finanzielle Hilfen von den EU-Partnern zu benötigen.

Aus der Opposition wurde Mitsotakis dafür kritisiert, dass er das Thema von der Tagesordnung strich. Dabei hält der Ministerpräsident nach wie vor an seinem Wahlversprechen fest, die Bedingungen des Rettungsdeals neu auszuhandeln. Dennoch sieht er gute Gründe dafür, das Thema in Berlin vorerst nicht anzusprechen.

Mitsotakis hat Merkels innenpolitische Probleme im Blick

So hatte Mitsotakis dem SPIEGEL bereits vor seinem Wahlsieg am 7. Juli gesagt, er wolle zunächst das Vertrauen der anderen EU-Regierungen gewinnen. Erreichen wolle er das durch die Umsetzung mutiger Reformen und eines Investitionsprogramms. Erst anschließend wolle er um größere Spielräume bitten. Zunächst will er der Kanzlerin versichern, dass Griechenland seine Verpflichtungen im laufenden und auch im kommenden Jahr vollständig erfüllt. Erst zu einem späteren Zeitpunkt will Mitsotakis sich dafür einsetzen, die Überschüsse ab 2021 zu senken.

Auch hat der neu gewählte Premierminister von seinem Vorgänger gelernt, dass Merkel wenig auf Reformversprechen gibt. Die Kanzlerin will handfeste Beweise sehen. Mitsotakis ist sich bewusst, dass jeder Versuch, geringere Haushaltsvorgaben zu erbitten, derzeit höflich abgelehnt werden würde. Besonders da seine Forderungen davon abhängen, die Wirtschaft auf einen starken Wachstumspfad zu bringen. Dabei ist Griechenland keineswegs immun gegen Turbulenzen in der Weltwirtschaft. Fällt Europa in eine Rezession, wären davon auch Export und Tourismus in Griechenland betroffen. Und das wiederum würde die Argumente von Mitsotakis schwächen.

Und schließlich hat Mitsotakis auch Merkels innenpolitische Probleme im Blick. Angesichts der drohenden Rezession und den möglichen CDU-Niederlagen bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen will der Premierminister verhindern, dass Griechenland zu einem Wahlkampfthema in Deutschland wird.

Mitsotakis will sich nicht nur als überzeugender Reformer präsentieren und das Bild eines neuen starken Griechenlands zeigen. Er will auch über künftige Investitionsmöglichkeiten diskutieren, insbesondere im Energiesektor. Es wird erwartet, dass er kräftig um deutsche Unternehmen wirbt.

Migration steht ganz oben auf der Tagesordnung

Ganz oben auf der Tagesordnung steht auch die europäische Flüchtlingspolitik - oder deren Fehlen. Es wird davon ausgegangen, dass Mitsotakis nicht nur von seinem Finanzminister, sondern auch von dem für Migrationspolitik zuständigen Minister Giorgos Koumoutsakos nach Berlin begleitet wird.

In weiten Teilen Europas ist die Flüchtlingspolitik in den Hintergrund gerückt, aber Griechenland steht derzeit vor altbekannten Problemen. Wieder kommen mehr Menschen aus der Türkei auf den griechischen Inseln der Ägäis an und den Hotspots droht erneut der Zusammenbruch.

Athen vermutet, dass die Türkei ihre Grenzkontrollen gelockert hat, um so Druck im Streit um die Bohraktivitäten im östlichen Mittelmeerraum auszuüben. Die Vorarbeit für die Gespräche in Berlin wurde bereits getan. Vergangene Woche trafen sich deutsche Migrationsexperten mit griechischen Beamten, um die Zusammenarbeit beider Länder in Migrationsfragen zu vertiefen.

 

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