Streit um "Alan Kurdi"Salvini wütet gegen deutsche Flüchtlingsretter - die reagieren sehr gelassen
Berlin (Welt) - Nachdem die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye im Mittelmeer nach eigenen Angaben 40 Menschen an Bord des Schiffes „Alan Kurdi“ genommen hat, beginnt der Konflikt um einen möglichen Anlegehafen. Der italienische Innenminister Matteo Salvini reagierte am Mittwoch per Tweet auf die Rettungsaktion: „Sie sind eine deutsche NGO und wissen, wohin sie fahren können, aber nicht nach Italien. Punkt.“
In der Nacht auf Donnerstag schob Salvini einen weiteren Tweet nach. Darin gab er an, die Besatzung der „Alan Kurdi“ habe den ihr von der libyschen Küstenwache zugewiesenen Hafen von Tripolis abgelehnt.
Das Schiff befinde sich 30 Meilen von der libyschen Küste entfernt. „Jetzt geht es wieder los, eine deutsche NGO kümmert sich nicht um internationale Autoritäten. Ich gebe nicht auf!“
„Wir werden definitiv vor den Hoheitsgewässern Italiens stoppen und nicht gegen die Anweisungen eines Staates verstoßen“, sagte der erste Vorsitzende des Regensburger Vereins Sea-Eye, Gorden Isler, am Donnerstag der Nachrichtenagentur epd. Vor Beginn der Zwölf-Meilen-Zone werde die „Alan Kurdi“ die Motoren abschalten.
Der Rettungseinsatz hatte am frühen Mittwochmorgen stattgefunden. Das teilte Sea-Eye-Sprecher Gorden Isler mit. Unter den Geretteten auf dem Schiff „Alan Kurdi“ seien zwei Frauen, von denen eine schwanger sei, ein Baby und zwei Kleinkinder.
Die Menschen hätten angegeben, in der Nacht aus der libyschen Stadt Tagiura östlich von Tripolis abgefahren zu sein. Sie stammen demnach aus Nigeria, der Elfenbeinküste, Ghana, Mali, dem Kongo und Kamerun.
„Die Menschen sind glücklich, aber völlig erschöpft“, erklärte Einsatzleiterin Barbara Held nach Angaben von Sea-Eye. Das Ärzteteam versorge eine Schwangere und zwei Migranten mit älteren Wunden. Zwei der Geretteten hätten erzählt, den Luftangriff auf ein Internierungslager in Tadschura erlebt zu haben. Anfang Juli kamen dabei mehr als 50 Migranten ums Leben.
Sea-Eye-Sprecher Gorden Isler erklärte, dass die italienische Insel Lampedusa der geografisch gesehen nächstgelegene sichere Ort für die „Alan Kurdi“ sei. Das Schiff werde aber „nicht ohne triftigen Grund“ unerlaubt in die italienischen Territorialgewässer fahren. Italien und Malta haben Hilfsorganisationen in der Vergangenheit immer wieder das Anlegen verwehrt. In Italien drohen ihnen Strafen, wenn sie unerlaubt in italienische Gewässer fahren.
Vor dem Fall der „Alan Kurdi“ hatten bereits 110 Menschen tagelang an Bord eines Schiffes der italienischen Küstenwache ausharren müssen. Sie können mittlerweile an Land gehen und sollen nach den neu vereinbarten Regeln auf sechs EU-Staaten verteilt werden.
„Problem gelöst“, hatte Salvini am Mittwoch verkündet, nachdem sich Deutschland, Portugal, Luxemburg, Frankreich und Irland bereit erklärt hatten, an der Aufnahme zu beteiligen. „Unser Land ist seinen Prinzipien treu: Verantwortung, Solidarität und europäische Kooperation“, twitterte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Eine „beträchtliche Zahl“ der Menschen bleibe in Italien, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission. Salvini zufolge gehen sie in die Obhut kirchlicher Einrichtungen
In den vergangenen Monaten ist es quasi zur Regel geworden, dass gerettete Migranten erst in Italien an Land gehen dürfen, wenn sich andere Länder nach teils langwierigen Verhandlungen zu ihrer Aufnahme bereit erklären. Eine langfristige Lösung für die Verteilung von Bootsflüchtlingen ist nicht in Sicht. Der Vorfall mache wieder einmal klar, dass eine nachhaltige Regelung dringend notwendig sei, erklärte der Kommissionssprecher.
Ein neues Treffen zu dem Thema ist aber erst für Anfang September auf Malta geplant. Daran sollen Vertreter Deutschlands, Frankreichs und anderer Staaten teilnehmen, die zur Aufnahme der Geretteten bereit sind, aber auch aus Italien und Malta.
Der Weg über das Mittelmeer ist eine gefährliche Migrationsroute: Im ersten Halbjahr 2019 starben laut IOM rund 600 Menschen, weil ihre Boote kenterten. 2018 waren es fast 1300, 2017 sogar mehr als 2270. Setzt man die gesunkene Zahl der Abfahrten ins Verhältnis zu den Todesfällen, erweist sich die Überfahrt in diesem Jahr als noch gefährlicher als zuvor. Lag die Todesrate im vergangenen Jahr bei 3,2 Prozent, stieg sie nun auf 5,2 Prozent. Viele Unglücke werden gar nicht bekannt, seitdem weniger Retter im Einsatz sind.