Ende der Ära-Merkel oder dauert der Übergangsprozess zu lange?
Berlin (Zeit) - James Hawes beschreibt in seinem Werk "Die kürzeste Geschichte Deutschlands" die Bundesrepublik der Jahre 2013/2014 als ideale Demokratie. Angela Merkel war damals auf dem Höhepunkt ihrer Macht, sie regierte geräuschlos mit zuverlässiger Mehrheit. Die deutsche Volkswirtschaft zog ganz Europa nach oben; der Arbeitsmarkt boomte; die schwarze Null, also der ausgeglichene Haushalt, wurde zum Symbol der Stärke. Die Kanzlerin, die große Koalition und der Aufschwung: Sie schienen miteinander verbunden gewesen zu sein. Inzwischen stellt sich die Frage, ob das immer noch selbstverständlich gilt - und was das für die Dauer der großen Koalition bedeutet.
Die Bundesrepublik des Jahres 2019 ist ein Land im Umbruch. Merkel ist noch Kanzlerin, allerdings mit angekündigtem Ende; die große Koalition aus CDU, CSU und SPD regiert noch, aber ohne große Unterstützung; sie arbeitet mühevoll ein Regierungsprogramm ab. Das Land beobachtet die Gesundheit der Kanzlerin, die Überlebensversuche der Sozialdemokratie und die Karriere der Annegret Kramp-Karrenbauer. Merkels Abschied zieht sich hin wie bei einem Zug, der aufs Gleis gestellt ist, aber nicht losfährt. Es sind noch gut 800 Tage bis zur nächsten regulären Bundestagswahl. Von daher ist es schon sehr erstaunlich, dass die Koalition weiter zu vermitteln versucht, dass es gut sei, wenn sie bis zum Ende der Legislatur regiere.
Nun ist es sicher verdienstvoll, in so turbulenten Zeiten, wie sie die Welt derzeit erlebt, einen geordneten Übergang nach 14 Jahren Kanzlerschaft Merkel organisieren zu wollen. Es gibt allerdings zwei gewichtige Gründe, die dafür sprechen, die politische Hängepartie früher als im Spätsommer 2021zu beenden.
Der erste: Weil die große Koalition sich außenpolitisch in vielen Punkten uneins ist, verliert die Bundesrepublik auf der internationalen Bühne an Einfluss.
Der zweite: Die wirtschaftliche Stärke des Landes schwindet.
Der Internationale Währungsfonds hat die Konjunkturprognose für Deutschland zum vierten Mal innerhalb eines Jahres runtergestuft; zusammen mit Italien liegt die größte europäische Volkswirtschaft plötzlich hinten in Europa. Schlüsselfirmen wie die Autohersteller geben Gewinnwarnungen aus. Das Geschäftsklima sinkt, Aufträge brechen weg. Die Bundesbank warnt vor Jobverlusten. Deutschland ist nicht mehr die Lok, die andere Länder mitzieht, sondern bremst das Wachstum in Europa.
Welchen Anteil aber hat die Politik an dieser Entwicklung? Die große Koalition hat den Abgasbetrug der Autobauer zwar nicht zu verantworten, ihn aber geduldet, indem sie ihre schützende Hand über die Autoindustrie hielt; sie hat Investitionen und Reformen aufgeschoben und die Empfehlungen des IWF und der EU-Kommission, wie sie das Wachstum in Deutschland stärken könnte, regelmäßig in den Schubladen verschwinden lassen; sie hat sich, wie auch die Regierungen in Südeuropa, darauf verlassen, dass die Europäische Zentralbank mit ihren niedrigen Zinsen schon genug für die Konjunktur tun werde.
Das Bizarre ist, dass die Koalition die Gründe für den wirtschaftlichen Abschwung weitgehend ignoriert - und ihn auf das Konto des irrlichternden Präsidenten im Weißen Haus bucht. Nach dem Motto: Ist der Handelskrieg von Donald Trump erst mal vorbei, geht es wieder bergauf. Sich darauf zu verlassen, wäre aber ein weiterer Fehler.
Nur gekleckert und nicht geklotzt
Zur Schwäche hat die Koalition selbst beigetragen, indem sie Reformen nicht angepackt hat und zudem davor zurückgeschreckt ist, mit staatlichen Ausgaben die Wirtschaft zu stärken, notfalls auch finanziert durch Steuererhöhungen. Der SPD, die dazu bereit wäre, fehlt die Kraft, so etwas durchzusetzen. Wo massiv investiert werden müsste, etwa in eine klimaneutrale Wirtschaft oder in Digitalisierung und künstliche Intelligenz, wird deshalb nur gekleckert und nicht geklotzt. Das Land braucht aber keine Koalition, die sich nichts traut, sondern eine Bundesregierung, die in großen Linien denkt und alles daran setzt, Deutschlands ökonomische Stärke zu bewahren.
Angela Merkel nimmt sich stattdessen sehr viel Zeit, ihre Nachfolge zu regeln. Aber wie lange kann die Bundesrepublik sich das leisten, ohne weiter Einfluss zu verlieren? In der EU hat der französische Präsident Emmanuel Macron das Sagen übernommen. Er hat einen Plan für Europa entwickelt, und die europäischen Personalien zeugen davon, dass er alles daran setzt, diesen zu verwirklichen. Macron erscheint als starker Mann Europas, weil er auch daheim Reformen angepackt hat, und weil er sich nicht scheut, US-Präsident Trump klare Grenzen aufzuzeigen. Merkel ist die scheidende Kanzlerin in einer schwachen Koalition.
Der Übergangsprozess weg von Merkel, hin zu etwas Neuem dauert zu lange. Die Welt aber wartet nicht auf Deutschland. Der drohende wirtschaftliche Abschwung ist ein klares Signal, sich mit dem Wechsel zu beeilen.