Krenz nimmt Merkel in Schutz und verteidigt ihre Flüchtlingspolitik
Berlin (Spiegel) - Der frühere SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz hat ein zweischneidiges Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel. Für ihre Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 nimmt er sie ausdrücklich in Schutz. "Die Entscheidung, die Flüchtlinge einreisen zu lassen, hätte ich genauso getroffen", sagt Krenz im SPIEGEL: "Weil das eine humanitäre Entscheidung war."
Dass Krenz einst selbst ein Regime repräsentierte, das keine Reisefreiheit zuließ und auf Flüchtlinge schießen ließ, erkennt er dabei offenbar nicht als Widerspruch: "Das ist eine ganz andere Sache."
Zum Problem habe sich die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland in den vergangenen Jahren entwickelt, weil das Land nicht vorbereitet gewesen sei. "Nehmen Sie die Losungen in der CDU: Lieber Kinder statt Inder und so weiter. Das heißt: Diese nationalistischen Töne waren vorhanden, und man hat die Rechten verharmlost", so Krenz zum SPIEGEL.
Es gibt diese Stimmung: "Wir sind keine vollwertigen Bundesbürger"
Der 82-Jährige kritisierte den Umgang der Kanzlerin mit den Bürgern in den neuen Bundesländern. Auf die Frage, warum Merkel trotz ihrer ostdeutschen Herkunft nicht mehr Empathie für die Ostdeutschen gezeigt habe, sagte er: "Wenn Merkel je dieses Gefühl gehabt hätte, wäre sie nie Bundeskanzlerin geworden. Empathie ist aber sicher kein Attribut von ihr."
Die Stärke der AfD in ostdeutschen Ländern ergibt sich für Krenz "aus dem Versagen der etablierten Parteien", nicht zuletzt jener Partei, die im vereinten Deutschland das Erbe der SED angetreten hat, Die Linke. Viele Menschen im Osten seien enttäuscht, es gebe schon die Stimmung: "Wir sind keine vollwertigen Bundesbürger."
Dennoch, so Krenz, sollten jene Enttäuschten die AfD nicht "als Protestventil" nutzen. "Ich kenne eine Menge Leute, die mir erzählen, dass sie aus Protest AfD wählen, obwohl sie gar nicht wissen, was die AfD will. Denen rate ich: Keine Kränkung kann rechtfertigen, Nazis und Neonazis zu wählen."
Krenz wurde 1983 Mitglied des Politbüros der DDR und kurz danach zweiter Mann im Staat hinter Erich Honecker. Mitte Oktober 1989 stürzte er Honecker, musste aber vier Wochen nach dem Mauerfall selbst abdanken. 1997 wurde er im sogenannten Politbüroprozess wegen Totschlags an vier DDR-Flüchtlingen zu sechseinhalb Jahren verurteilt. Krenz lebt heute in Dierhagen in Nordvorpommern.