Trotz allen scheint in Berlin immer noch «Merkel forever» zu gelten
Berlin (Bloomberg) - Derzeit braucht es in der deutschen Regierungspartei CDU nicht viel, um Spekulationen über die Zukunft von Bundeskanzlerin Angela Merkel auszulösen. Manchmal reicht dafür schon der Hinweis auf ein ausserplanmässiges Treffen der Parteiführung.
Als CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, genannt "AKK", vor kurzem ein solches Treffen für Anfang Juni anberaumte, entzündete sich daran in Berlin gleich ein Feuerwerk der Spekulationen: Tritt die Kanzlerin nach einem möglichen Debakel bei der Europawahl zurück? Entlässt sie ihren glücklosen Wirtschaftsminister? Oder plant AKK gar einen Sturz von Merkel?
Ein Blick in das Grundgesetz sowie in den Terminkalender der deutschen Regierung hätte genügt, um derartige Spekulationen im Keim zu ersticken. Ohne die Zustimmung Merkels wäre AKK überhaupt nicht in der Lage, ins Kanzleramt einzuziehen. Dafür sorgt schon allein das Grundgesetz, das die Hürden für einen Wechsel der Regierungsgewalt bewusst hoch gelegt hat. Ausserdem bräuchte AKK auch noch die Zustimmung der SPD, die die neue Kanzlerin erst mal mitwählen müsste. Allerdings hat in der SPD niemand ein Interesse, nach dem Abgang Merkels die nächste CDU-Führungsfrau mit aufzubauen.
Forcierter Machtwechsel nur bei Neuwahlen
Damit ist klar: Ein Machtwechsel im Kanzleramt ist unter den aktuellen Gegebenheiten lediglich über Neuwahlen möglich. Allerdings würde dies mit einer Reihe wichtiger Termine kollidieren. So hätte ein Zusammenbruch der Grossen Koalition im Herbst dieses Jahres nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen zur Folge, dass die Neuwahlen mutmasslich Anfang 2020 stattfinden würden - just in dem Jahr, in dem Deutschland im Juli turnusmässig die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.
Ein Wahlkampf in Deutschland samt Koalitionsverhandlungen würde also potenziell zur Folge haben, dass ein unerfahrener Bundeskanzler die Geschicke der EU im europäischen Konzert dirigieren würde. Selbst Merkel-Kritiker räumen ein, dass diese Aufgabe bei Merkel in weitaus besseren Händen wäre.
SPD könnte das Handtuch werfen
Dennoch wird immer wieder das Szenario beschworen, dass irgendwann die SPD die Nerven verlieren könnte und aus der Grossen Koalition aussteigt. Dann wären Neuwahlen nicht mehr zu vermeiden. Allerdings hätten diese Wahlen dann wohl zur Folge, dass die SPD endgültig abstürzt. Denn wer würde eine Partei wählen, die aus purer Verzweiflung aus der Verantwortung flieht?
Merkel scheint also mal wieder gut gepokert zu haben. Ihr Rücktritt vom CDU-Vorsitz Ende des vergangenen Jahres könnte dazu führen, dass es der Kanzlerin gelingt, tatsächlich bis zur Ende ihrer Amtszeit im September 2021 im Amt zu bleiben. Und möglicherweise sogar noch darüber hinaus, sollten sich die Koalitionsverhandlungen erneut derart lange hinziehen wie beim letzten Mal.
Wer also gehofft hatte, die Tage der Kanzlerin seien mit ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz gezählt, dürfte sich getäuscht haben. Die Merkel-Raute, die zum Sinnbild der politischen Stabilität, aber zunehmend auch der Stagnation in Deutschland geworden ist, wird noch eine ganze Weile erhalten bleiben.