Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Deutschlands Wirtschaft rebelliert gegen Merkels Regierung

Montag 06.Mai.2019 - 05:25
Die Referenz
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Normalerweise verbindet sich das Image hochrangiger Banker mit Statussymbolen wie Manschettenknöpfen und teuren Uhren. Paul Achleitner aber, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, trägt derzeit etwas anderes mit Stolz an seinem Handgelenk. Eine Withings Steel HR Sport – eine 200 Euro teure Smartwatch, die unter anderem Nachrichten empfangen kann.

 

„Das Beste daran ist, dass sie aus Europa kommt, nicht aus den USA oder Asien“, sagt Achleitner, auf die Uhr des französischen Herstellers Withings angesprochen. Was eine erstaunliche Aussage ist für einen Topmanager, der einst Partner der US-Investmentbank Goldman Sachs war.

 

In Deutschlands Wirtschaft ändert sich derzeit etwas. Alarmiert durch die rasanten Fortschritte amerikanischer und chinesischer Konzerne bei der Digitalisierung, vor allem aber bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI), fürchtet die hiesige Industrie um das ökonomische Erfolgsmodell der Bundesrepublik.

 

Europa und Deutschland fallen in diesen Disziplinen derart zurück, dass der künftige Wohlstand bedroht ist. Und die Ideen, die die Bundesregierung präsentiert, um diesen Rückstand aufzuholen, gelten Industrievertretern im besten Fall als missverständlich, im schlechtesten als „unbrauchbar und unterkomplex“, wie einer ihrer Vertreter sagt.

 

Nur ein Teil der Veranstaltung ist öffentlich

 

Anfang Februar hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt. Seitdem reißt die Kritik nicht ab. Vor allem der Mittelstand rebelliert, weil der Minister vor allem die Großindustrie und deren Interessen im Blick zu haben scheint.

 

Am Montag empfängt Altmaier jetzt Vertreter von Verbänden, Gewerkschaften und Unternehmen zu einem Fachkongress, um über sein umstrittenes Papier zu diskutieren. Nur ein kleiner Teil der Veranstaltung ist öffentlich. Aber so viel steht fest, Altmaier wird sich auf eine unangenehme Aussprache zu seinen Plänen gefasst machen müssen. Und, das zeigen Informationen, die WELT AM SONNTAG vorliegen, auf Ideen, die mit seinen Vorhaben nicht unbedingt konformgehen.

 

Kritik macht sich besonders am langsamen Vorgehen der Bundesregierung fest: „Der Standort Deutschland hat mehr Probleme, als viele wahrhaben wollen“, sagt Adidas-Chef Kaspar Rorsted, angesprochen auf die Versäumnisse der Politik. Schon seit 2005 kündige Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die Digitalisierung stehe auf ihrer Agenda ganz weit oben. „Aber es geschieht nichts. Sie wird diese Regierung verlassen ohne einen Erfolg in diesem Bereich.“

 

Über autonomes Fahren zum Beispiel müsse Deutschland nicht nachdenken, solange bei einer Autofahrt zwischen Nürnberg und München ständig die Telefonverbindung abreiße, moniert Rorstedt. Darüber hinaus seien die Behörden kaum digitalisiert, die Schulen ebenfalls nicht. „Wir haben Überschüsse bei den Staatsfinanzen“, schimpft der Konzernchef, „aber unsere digitale Infrastruktur hat Defizite, wie es schlimmer nicht geht.“

 

Der Präsident des Industrieverbands BDI Dieter Kempf sagte am Montag in Berlin bei einer Konferenz zur „Nationalen Industriestrategie 2030“, es sei höchste Zeit, Standortnachteile umfassend anzugehen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf am Montag in Berlin bei einer Konferenz zur „Nationalen Industriestrategie 2030“. Kempf nannte zu hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie, einen schleppenden Ausbau der Infrastruktur und eine „schädliche“ Steuerpolitik.

 

Altmaier verteidigte seine umstrittene Strategie. Es gehe darum, eine breite Diskussion anzustoßen und Wirtschaftspolitik wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte zu rücken.

 

Der CDU-Politiker setzt sich in seinen Thesen für eine aktivere staatliche Industriepolitik im globalen Wettbewerb ein. In sehr wichtigen Fällen sei eine befristete Beteiligung des Staates an Unternehmen möglich. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs zwischen Asien, den USA und Europa hält es Altmaier für nötig, neue „nationale wie europäischen Champions“ zu schaffen.

 

Von einer Deutschland AG 2.0 ist die Rede

 

Nach Informationen dieser Zeitung reift derweil bei einigen Managern die Überlegung, dass man sich aufseiten der Wirtschaft stärker als bislang zusammentun muss, wenn man wirklich etwas für den Standort Deutschland erreichen will. Ideen würden ausgetauscht, heißt es, Netzwerke geknüpft. Achleitner soll ebenso dazugehören wie einige Chefs großer Industrieunternehmen.

 

„Man redet darüber, wie man wieder Investitionen nach Deutschland zieht, wie man Start-up-Kapital ins Land holt und wie man die Voraussetzungen schafft, damit die hiesige Wirtschaft den Sprung in die Digitalisierung schafft“, sagt ein hoher Manager eines Dax-30-Konzerns. Und es geht darum, wie die Flaggschiffe der deutschen Wirtschaft, die Altmaierals „nationale Champions“ hofiert, ihr Know-how und ihre Verbindungen dafür einsetzen können. Sogar von einer Deutschland AG 2.0 ist bei einigen die Rede. Nur offiziell ist davon bislang nichts.

 

Gerade mit seinen Aussagen zu den nationalen und europäischem Champions hatte Altmaier im mittelständisch geprägten Teil der deutschen Wirtschaft Widerspruch provoziert. „Größe zählt – Size matters!“, heißt es in dem Papier des Wirtschaftsministers.

 

„Wenn es in einem Land an Unternehmen fehlt, die die notwendige kritische Größe erreichen, um bedeutende Projekte zu realisieren und sich im internationalen Wettbewerb gegen große Konkurrenten zu behaupten, führt dies faktisch zum Ausschluss von einem bedeutenden und wachsenden Teil des Weltmarktes.“ Der langfristige Erfolg und das Überleben solcher Unternehmen lägen im nationalen politischen und wirtschaftlichen Interesse.

 

DIHK-Papier für den Minister

 

Kein Wunder, dass Deutschlands fast 3,5 Millionen kleine und mittelständische Firmen fürchten, in der Förderpolitik der schwarz-roten Bundesregierung nicht bedacht zu werden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wird daher dem Minister am Montag einen Zehn-Punkte-Katalog mit Forderungen präsentieren. Vieles in dem Dokument, das dieser Zeitung vorliegt, liest sich wie Selbstverständlichkeiten, nur dass sie es im Deutschland des Jahres 2019 nicht sind.

 

Unter Punkt 3 steht: „Vor Ort zählen zu den relevanten Standortfaktoren insbesondere eine gut ausgebaute Infrastruktur, das heißt Verkehrsanbindung, Versorgung mit digitalen Netzen sowie die Verfügbarkeit von erschlossenen Industrie- und Gewerbeflächen.“ Schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren. Stärkeres Engagement der Politik für die Bildung. Ein innovationsfreundliches Umfeld. Eine technologieoffene, bürokratiearme Forschungsförderung. Alles Grundlagen erfolgreicher Wirtschaftspolitik, die hierzulande oft nicht mehr gegeben sind.

 

Unter Punkt 9 und 10 lesen die DIHK-Oberen dem Minister dann die Leviten: Der Fokus auf europäische Champions und das Vorhaben, sie vor Wettbewerb oder Übernahmen zu schützen, lasse den für Deutschland so relevanten Mittelstand außen vor. „Größe bedeutet nicht automatisch mehr Wettbewerbsfähigkeit.“ Und mit der Benennung förderwürdiger Zukunftstechnologien laufe der Staat Gefahr, den Blick auf künftige technologische Entwicklungen zu verengen und dabei zu übersehen, dass auch andere Branchen oder Technologien hochinnovativ seien.

 

Regierung, erledige deine Arbeit!

 

Ein ähnliches Dokument, 31 Seiten lang, hat der Industrieverband BDI für Montag erarbeitet. Neben vergleichbaren Maßnahmen wie der DIHK fordert BDI-Präsident Dieter Kempf von der Regierung vor allem eines: mehr Debatte und Engagement. „Die in konjunkturell guten Zeiten entstandene industriepolitische Gelassenheit sollte nun einem ernsten und selbstbewussten Anpacken der wirtschaftspolitischen Aufgaben weichen“, heißt es in dem Papier.

 

Was heißt: Regierung, erledige deine Arbeit! Altmaier ahnt, was auf ihn zukommt. Und umgarnt seine Kritiker schon mal vorab: „Mit meinen Vorschlägen habe ich eine breite Diskussion in Gang gesetzt“, sagt er. „Damit rückt die Wirtschaftspolitik erstmals wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte.“ Ihm sei wichtig, dass dabei auch Vertreter der mittelständischen Wirtschaft ausreichend zu Wort kämen.

 

Altmaier meint damit Leute wie Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer. Der gilt als größter Gegner der Industrieagenda 2030. Laut dessen Sprecherin hat er dem Wirtschaftsminister einiges zu sagen. Nur solle der das nicht aus der Presse erfahren, sondern eben persönlich am Montag. Erfreulich wird das für Altmaier wohl nicht.

 

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