Merkel besucht Afrika wegen Flüchtlinge
Berlin (Handelsblatt) - Bei ihren bisherigen Reisen auf den afrikanischen Kontinent standen stets Wirtschaftsbeziehungen im Mittelpunkt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich nach der Flüchtlingskrise fest vorgenommen, Fluchtursachen vor allem durch eine Stärkung der Wirtschaft vor Ort zu mildern. Mitreisende Unternehmerdelegationen unterstrichen stets ihr Ziel, die deutsche Entwicklungshilfe vorrangig auf den Aufbau von Firmen, auf Ausbildung, Produktion vor Ort und Handel neu auszurichten.
Wenn Merkel am 1. Mai erneut nach Afrika aufbricht, ist ihr Fokus jedoch ein komplett anderer: Diesmal geht es nicht in die Herkunftsländer von Migranten aus Westafrika, wie Ghana, Senegal, Marokko oder Algerien, sondern in die „Transitstaaten“ der Sahel-Region. Merkel wird auf ihrer dreitägigen Reise Burkina Faso, Mali und Niger besuchen.
Durch den Niger führte lange die Hauptroute westafrikanischer Flüchtlinge. Nigers Staatschef Mahamadou Issoufou sorgte zuletzt dafür, die Grenze nach Norden dicht zu halten. Der Niger erhält seither Pro Kopf die höchsten Entwicklungshilfezahlungen der EU.
Bei Merkels Besuch soll es diesmal um die prekäre Sicherheitslage gehen und um Entwicklungsperspektiven für die drei Länder, die nach dem Human Development Index der UN zu den ärmsten der Welt zählen. Und die auch jenseits der Migration wichtig geworden sind für Europa: Seit der Islamische Staat im Irak und in Syrien weitgehend besiegt ist, wird der Sahel immer mehr zum neuen Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen des IS und Al Qaidas.
Eine Wirtschaftsdelegation begleitet die Kanzlerin diesmal nicht. „Das Ziel muss sein, die Region sowohl militärisch als entwicklungspolitisch voranzubringen“, sagte Thomas Schiller, Sahel-Beauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU mit Sitz in Malis Hauptstadt Bamako im Vorfeld der Reise.
Das große Problem des Sahel jedenfalls ist: Die Sicherheitslage verschlechtert sich zunehmend – obwohl Frankreich und Deutschland die UN-Mission in Mali unterstützen. Und obwohl die Sahel-Staaten, zu denen außerdem der Tschad und Mauretanien zählen, inzwischen als „Sahel-G5“ ihre Grenzen mit Gemeinschaftstruppen zu schützen versuchen.
Das Dreiländereck, an dem Burkina Faso, Mali und Niger zusammenstoßen, ist für westliche Ausländer dennoch aus Sicherheitsgründen zur No-go-Area geworden, sagte Schiller. Denn der Aufbau der 2017 gegründeten Truppen kommt nur schleppend voran.
Bereits Anfang 2018 baten die Sahel-G5-Staaten auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Europäer, ihnen beim Truppenaufbau auch mit Waffen zu helfen. Die Bundesregierung lehnt dies bisher ab. Die 28 Millionen Euro, die Deutschland zusätzlich zu den 100 Millionen Euro der EU für den Truppenaufbau in den Jahren 2017 und 2018 bereitstellte, umfassen LKW-Lieferungen, Helme, Kleidung und andere Ausrüstungsgegenstände für die Soldaten, kurz: alles außer Gewehre. Denn im Dauerstreit um Rüstungsexporte sind Kleinwaffen-Lieferungen in Konfliktgebiete zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD besonders umstritten.
Sahel-Experte Schiller berichtete zudem von „erheblichen Problemen“, Entwicklungshilfe überhaupt in Projekte vor Ort fließen zu lassen. Im Dezember hatte eine internationale Geberkonferenz insgesamt zwei Milliarden Euro für den Sahel zusammengetragen.
„Es fehlt die Staatlichkeit“, so Schiller, was konkret heißt: Die Geberländer finden kaum Ansprechpartner vor Ort, denen sie zutrauen, Entwicklungsprojekte sinnvoll umzusetzen. Der Idealfall wäre, die Region militärisch zu sichern, und dann mit Entwicklungshilfe staatliche Strukturen aufzubauen, sagte der Experte.
Davon jedoch ist der Sahel weit entfernt. „In der Region war nie ein Staat richtig präsent“, beschrieb Schiller die Lage in dem Gebiet, das flächenmäßig größer ist als alle EU-Staaten zusammen. Die Regierungen in den jeweils südlich gelegenen Hauptstädten haben den Norden ihrer Länder noch nie wirklich kontrolliert – und interessierten sich lange auch kaum für die entlegenen Wüstenregionen.
Es gibt dort kaum Straßen und nur wenige Schulen. Regionale Stammesfürsten regieren und in abgelegenen Dörfern organisieren die Menschen selbst Milizen – auch weil staatliche Truppen auf Hilferufe sie nicht schützen können. Islamistische Terrorgruppen stoßen in die Lücken. Ihre Anschläge erreichen inzwischen auch die Hauptstädte.
Zuviel Entwicklungshilfe mit zu wenig Wirkung
Je instabiler die Lage in der Region wird, umso gefährlicher wird der Terrorismus auch wieder für Europa. Denn die USA ziehen sich tendenziell aus dem Hinterhof der Europäer zurück. Zuviel Entwicklungshilfe mit zu wenig Wirkung hätten die USA ausgegeben, sagte John Bolton, Sicherheitsberater des US-Präsidenten Donald Trump, im Dezember bei der Vorstellung der neuen Afrikastrategie der US-Regierung. „Unglücklicherweise haben Milliarden auf Milliarden Dollar von US-Steuerzahlern nicht die gewünschten Effekte erzielt“, sagte Bolton.
Unterstützt würden deshalb künftig nur noch private US-Investitionen, im Gegenzug für Reformen. In Aussicht gestellt würden einzelnen Staaten Handelsabkommen „zum gegenseitigen Nutzen“, so Bolton. Militärisch werde man die Sahel-G5 weiter stärken – sich allerdings nicht an UN-Missionen beteiligen.
Konkret beobachten die Europäer, dass die USA das Gebiet zwar, vor allem mit Drohnen, überwachen und Geheimdienst-Erkenntnisse mit den Europäern teilen – den militärischen Kampf gegen Terroristen aber zunehmend den Europäern überlassen. Frankreich ist denn auch mit bis zu 3000 Soldaten in der Region präsent, während Deutschland mit bis zu 1000 Bundeswehrsoldaten die UN-Mission in Mali unterstützt.
Seit 2016 bemüht sich die Kanzlerin jedenfalls, die Sahel-G5 zu stärken. Alle fünf Staatschefs waren bereits in Berlin zu Besuch, während des EU-Afrika-Gipfels letztes Jahr gab es ebenfalls Treffen mit ihnen. Auch Initiativen, die Frauen stärken und das Bevölkerungswachstum dämpfen wollen, können inzwischen auf Hilfe der Bundesregierung zählen – auch wenn die Bundesregierung bisher wenig darüber spricht: Das Thema sei sensibel, heißt es in Regierungskreisen.
Geburtenkontrolle stößt nach wie vor auf erhebliche Widerstände konservativer Stamme