Es gibt eine Krise zwischen AKK und Merkel
Berlin (Focus) - Mit Momentum bezeichnen die Parteistrategen jene geheimnisvollen Antriebskräfte, die Hinterbänkler zu Spitzenpolitikern aufsteigen lassen, um sie – wenn die Thermik anhält – in Parteiführer zu verwandeln. Gewinnt das Momentum weiter an Kraft, werden diese Menschen am Ende der Reise in höchsten Staatsämtern angekommen sein.
Das AKK-Momentum war zunächst stark. Es hatte die weithin unbekannte Saarländerin erst innerhalb der Partei nach oben und von oben dann nach ganz oben getragen, um anschließend auch die CDU, die nun ihre CDU war, auf ein Zwischenplateau zu befördern. Die Partei erlebte in den Wochen nach ihrer Wahl zur CDU-Chefin mit 32 Prozent (Forsa) einen zwischenzeitlichen Höchstwert.
Trend geht bergab
Seither zeigt der Trend bei allen Instituten bergab:
Nur noch zwischen 27 Prozent (Forsa) und 29 Prozent (Infratest Dimap) der Wähler favorisieren bundesweit die CDU.
In Sachsen liegt die CDU aktuell laut INSA-Umfrage vom 26. April mit 28 Prozent nur zwei Prozent über der AfD. Und die Anti-Migrations-Partei zieht wieder an,obwohl das Flüchtlingsthema an Fahrt verliert.
71 Prozent der Deutschen, das ist der für AKK grausamste Befund,wünschen sich trotz aller Unzufriedenheit mit der späten Merkel, dass die Kanzlerin die Legislatur zu Ende regiert.
Nur 34 Prozent finden, dass sich AKK als Kanzlerin eigne. 51 Prozent sind dezidiert gegen eine Kanzlerschaft der Saarländerin.
Und Angela Merkel, das ist die für AKK ernüchternde Botschaft, lässt sie im Europa-Wahlkampf allein. Einen gemeinsam angekündigten Wahlauftakt hat Merkel in letzter Minute verweigert. Ihre Botschaft an AKK: Das wird deine erste Niederlage und nicht meine letzte.
AKK stemmt sich gegen Abwärtstrend
Annegret Kramp-Karrenbauer lässt sich von den Fakten zwar beeindrucken, aber nicht entmutigen. Sie stemmt sich mit allem, was sie gelernt hat – also vor allem Parteitaktik – gegen den Abwärtstrend. Kurz nach der Europawahl am 26. Mai will die Parteichefin jetzt für den 2. und 3. Juni die CDU-Führung zu einer außerplanmäßigen Vorstandsklausur einberufen.
Offiziell soll es um die Auswirkungen der jüngsten Steuerschätzung gehen, denn Deutschland muss sich auf sinkende Einnahmen einstellen. Aber AKK, darüber berichtet „Welt“-Chefreporter Robin Alexander heute in seiner Zeitung und im "Morning Briefing Podcast", führt anderes im Schilde. Die Sondersitzung der CDU-Führung diene der Vorbereitung des Machtwechsels:
"Merkel hat ein hohes Interesse, würdig aus dem Amt zu scheiden. Dazu braucht sie die CDU – und sie braucht Kramp-Karrenbauer. Deshalb liegt es im Interesse beider Frauen, den Abgang so zu gestalten, dass die eine gut aus dem Kanzleramt raus- und die andere gut reinkommt."
"Friedrich Merz hat an die Seite von Kramp-Karrenbauer gefunden. Sie als Kanzlerin und Merz als Wirtschafts-, Finanz- oder Verteidigungsminister würden der CDU die Bandbreite zurückgeben, die einige in den letzten Merkel-Jahren vermisst haben."
Kanzlerinnensturz?
Auf der Sonderklausur der CDU-Führung könnte sie sich den Auftrag sichern, ein neues Parteienbündnis aus CDU/CSU, Grünen und Liberalen zu sondieren. Das überraschend einberufene Treffen der CDU-Führung schafft keine Fakten, aber es bietet die Voraussetzung zur Schaffung von Fakten. Der Kanzlerinnensturz soll nicht vollzogen, aber möglich gemacht werden.
Zumal AKK in der Partei über Bataillone verfügt, die Merkels Rückzug nicht heimlich – wie sie –, sondern offen betreiben. Einer der Bataillonsführer heißt Alexander Mitsch, im Hauptberuf Finanzdirektor einer Heidelberger Firma und ehrenamtlicher Bundesvorsitzender der WerteUnion.
Er wünscht sich einen Wechsel im Kanzleramt, lieber gestern als heute. Für den "Morning Briefing Podcast" habe ich mit ihm über seine Motive gesprochen. Seine Kernaussagen:
"Zwei Drittel aller Deutschen wünschen sich eine andere Asylpolitik. Mit Frau Merkel wird es diese notwendige Asylwende nicht geben. Deshalb ist es gut für Deutschland, wenn sie den Weg freimacht."
"Deutschland hat mittlerweile zusammen mit Belgien die weltweit höchste Abgabenbelastung. Das ist doch nicht mehr die CDU-Politik von Ludwig Erhard. Auch da muss dringend eine Politikwende her."
"Wer hätte im Herbst letzten Jahres gedacht, dass Frau Merkel tatsächlich nicht mehr Parteivorsitzende der CDU ist. Da ging dann alles ganz schnell und genauso wird es diesmal auch wieder gehen."
Mitsch hofft auf Teamleistung
Mitsch setzt keineswegs auf die Kanzlerwerdung von AKK alleine,sondernhofft auf eine „Teamleistung“: "Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Merz müssen jetzt zusammen mehr Verantwortung bekommen."
"Nach der Europawahl könnten wir zu dem Ergebnis kommen: „Wir müssen dringend etwas ändern.“ Deshalb ist die Klausur auf jeden Fall richtig. Sie bietet einen tollen Anlass, die Politikwende einzuleiten."
AKK hat Momentum verloren
Fazit: AKK hat das Momentum verloren, aber nicht ihren Machtinstinkt. Das Tauschgeschäft, das sie ihrer ehemaligen Chefin vorschlägt, lautet: Meine Inthronisierung gegen Deinen Abgang in Würde. Das kann man als Angebot verstehen, oder auch als Drohung.
Schon werden im Merkel-Camp Abwehrstrategien debattiert, zum Beispiel eine Kabinettsumbildung nach vergeigter Europawahl.
Justizministerin Katarina Barley zieht es als Spitzenkandidatin der SPD nach Brüssel und Straßburg, ihr Weggang macht eine Kabinettsumbildung unumgänglich. Peter Altmaier, CDU, steht ohnehinauf der Liste der künftigen EU-Kommissare. Merkel könnte der Parteifreundin AKK, die zur Rivalin geworden ist, einen Kabinettsposten anbieten, wobei anbieten hier gleichbedeutend mit aufdrängen ist. Merkel beherrscht die asiatische Kampfweise: Die Hand, die du nicht abhacken kannst, sollst du schütteln.