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"Mitte-Studie" zur Menschenfeindlichkeit: Vorurteile gegen Flüchtlinge auf neuem Rekordhoch

Donnerstag 25.April.2019 - 04:32
Die Referenz
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Berlin (Focus) - Die Ergebnisse machen deutlich, dass ein Großteil der Deutschen zwar Demokratie und eine Vielfalt der Gesellschaft befürwortet und eine Stärkung der EU fordert. Aber beunruhigend ist: Ein Drittel der Befragten äußerte nicht-liberale Einstellungen zur Demokratie und stellt gleiche Rechte für alle in Frage. Die negativen Einstellungen gegenüber Geflüchteten haben sogar zugenommen: Jeder zweite Befragte stimmt Vorbehalten gegenüber Asylsuchenden zu.

 

Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung:

 

Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist in Zusammenarbeit mit dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld entstanden. Alle zwei Jahre veröffentlicht die Friedrich-Ebert-Studie die Mitte-Studie. Die Daten werden über repräsentative Telefonbefragungen erhoben, 1890 Menschen wurden zwischen September 2018 und Februar 2019 befragt.

 

“Wenn menschenfeindliche Vorurteile, rechtspopulistische wie rechtsextreme oder neurechte Einstellungen, der Glaube an Verschwörungen, Misstrauen und illiberale Demokratieeinstellungen verbreitet sind, die Vorstellungen von Demokratie in Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften, dann erleidet die Mitte der Gesellschaft Verluste und die Demokratie wird instabil”, erläutert Andreas Zick die Ergebnisse. Er ist Direktor des Instituts in Bielefeld und hat die Studie durchgeführt.

 

Rechtsextremismus in Ost- und Westdeutschland gleich verbreitet

Die Ergebnisse zeigen, dass eindeutig rechtsextreme Einstellungen von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt werden. Zwei bis drei Prozent der Befragten äußerten sich klar rechtsextrem – im Osten Deutschlands nicht mehr als im Westen. In Ostdeutschland ist die Zustimmung zu rechtsextremen Positionen nach einem auffälligen Anstieg im Jahr 2016 inzwischen wieder gesunken.

 

In der Gesamtbevölkerung hatten jahrelang mehr als 20 Prozent eine fremdenfeindliche Einstellung. Nach 2012 sank dieser Wert deutlich ab: 2014 lag er nur noch bei 7,5 Prozent. Zuletzt, also 2018/2019, gab es wieder einen leichten Anstieg auf 8,9 Prozent.

17 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: “Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.” Acht Prozent stimmten der Aussage zu: “Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen.”

 

Rechtspopulistische Einstellungen sind in der Mitte der Bevölkerung normaler geworden

 

Weiter verbreitet als rechtsextreme sind rechtspopulistische Einstellungen. Jeder Fünfte neigt deutlich zu rechtspopulistischen Einstellungen, bei 42 Prozent erkennen die Studienmacher eine Tendenz dazu. Insgesamt hat die Verbreitung dieser Einstellungen seit 2014 nicht zugenommen. Aber die Studienmacher sagen, dass rechtspopulistische Einstellungen für die Mitte der Gesellschaft normaler geworden sind.

 

Wenn man die Verbreitung rechtspopulistischer Einstellungen entlang der Präferenz für Parteien betrachtet, zeigt sich, dass 7,6 Prozent der Anhänger der Grünen rechtspopulistische Einstellungen zeigen, 12,3 Prozent der Linke-Anhänger, 16,6 Prozent der SPD-Anhänger, 20,6 Prozent der CDU/CSU-Anhänger, 23 Prozent der FDP-Anhänger und mit 75,1 Prozent eine deutliche Mehrheit der AfD-Anhänger. Bei den Nichtwählern liegt der Anteil bei 33,6 Prozent.

 

“Der offene, harte Rechtsextremismus wird durch moderne Formen abgelöst”

Deutlich mehr Zustimmung finden der Studie zufolge neurechte Einstellungen, sprich rechtsextremistische Einstellungen, die sich in zunächst harmlos erscheinenden Meinungen widerspiegeln. 

 

Diese dringen demnach immer stärker in Wahrnehmungen und Meinungen der Mitte ein und werden sowohl im Internet als auch in der realen Welt verbreitet. So ist ein Drittel der Befragten der Ansicht, “Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit”. Auch fordert ein Drittel "Widerstand" gegen die aktuelle Politik. 25 Prozent sind der Meinung, Deutschland werde vom Islam unterwandert, 34 Prozent sind der Ansicht, das deutsche Volk besäße eine unveränderliche Identität.

 

Ko-Autorin Beate Knüpper von der Hochschule Niederrhein sagt dazu: “Der offene, harte Rechtsextremismus wird durch moderne Formen abgelöst, darin steckt aber das alte völkische Denken. Das ist auf den ersten Blick nicht so leicht als rechtsextrem erkennbar, umso leichter lassen sich neurechte Varianten verbreiten, strategische Akteure nutzen dies.”

 

Jeder Fünfte ist fremden- und muslimfeindlich

 

Beim Thema Menschenfeindlichkeit zeigt die Studie, dass Sexismus (2002: 29,4 Prozent, 2014: 10,8 Prozent, 2016: 8,7 Prozent, 2018/2019: 7,5 Prozent), Vorurteile gegenüber Obdachlosen (10,8 Prozent) und Menschen mit Behinderung (0,8 Prozent) gesunken sind. Jedoch stimmte mehr als jeder zweite Befragte (52,3 Prozent) abwertenden Ansichten gegenüber Langzeitarbeitslosen zu.

 

19 Prozent zeigen allgemein fremdenfeindliche Einstellungen, jeder zweite Befragte neigt zu einer Abwertung von Asylsuchenden – mehr als 2016, obwohl die Zahl Geflüchteter rückläufig ist. 26 Prozent werten Sinti und Roma ab, 19 Prozent haben muslimfeindliche Einstellungen, 24 Prozent stimmen antisemitischen Einstellungen zu, die sich auf Israel beziehen. "Klassischen" antisemitischen Einstellungen stimmen sechs Prozent der Bevölkerung zu.

 

Befragte aus Ostdeutschland nicht rechtsextremer, aber rechtspopulistischer als Westdeutsche

 

Insgesamt zeigt die Studie im Ost-West-Vergleich keine Unterschiede in der offenen Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen. Aber eine weichere rechtspopulistische Orientierung ist im Osten weiter verbreitet als im Westen. Die Fremdenfeindlichkeit liegt im Westen bei 18 Prozent, im Osten bei 23 Prozent, die Muslimfeindlichkeit im Westen bei 19 Prozent, im Osten bei 26 Prozent, abwertenden Einstellungen gegenüber Asylsuchenden zeigen 51 Prozent der befragten aus Westdeutschland, 63 Prozent der Befragten aus Ostdeutschland.

 

Bei der allgemeinen Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Demokratie zeigt die Studie, dass fast ein Drittel der Ansicht ist, Demokratie führe eher zu "faulen Kompromissen" als zu sachgerechten Entscheidungen. Mehr als ein Drittel der Befragten ist gegen die Idee gleicher Rechte für alle. Gleichzeitig finden es 86 Prozent unerlässlich, dass Deutschland demokratisch regiert wird. Doch jeder Dritte fühlt sich von der Politik nicht vertreten und nimmt sich politisch machtlos wahr.

 

Mehrheit ist gegen Hetze und Rechtspopulismus

 

Positiv bewerten die Studienmacher insgesamt, dass es 80 Prozent der Befragten gut finden, wenn sich Menschen gegen Hetze gegen Minderheiten einsetzen, 60 Prozent finden, Rechtspopulismus bedrohe die Demokratie. 17 Prozent der Befragten finden, Deutschland wäre ohne die EU besser dran, aber 86 Prozent fordern: “Der Zusammenhalt in der EU muss gestärkt werden” – vier Prozent mehr als noch 2016.

 

“Wenn ein Großteil der Befragten die Demokratie und ihre Werte befürwortet, ist das zunächst ein gutes Zeichen. Allerdings zeigt gleichzeitig die Hälfte der Befragten beispielsweise Menschenfeindlichkeit gegenüber Asylsuchenden und bis zu einem Drittel illiberale Demokratievorstellungen. Ein Teil der Bevölkerung wird den eigenen Werten nicht gerecht”, fasst Wilhelm Berghan von der Universität Bielefeld die Ergebnisse zusammen.

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