Wohnungsnot: Merkel sagt Nein zur Enteignung von Immobilienkonzernen
Berlin (Tagesschau) - In der Debatte um Wohnungsnot und hohe Mieten hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen die Möglichkeit von Enteignungen gewandt. Die Kanzlerin halte "die Enteignung von Wohnungskonzernen nicht für ein geeignetes Mittel zur Linderung der Wohnungsnot", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Der Schlüssel für bezahlbaren Wohnraum sei, eine ausreichende Zahl von Wohnungen zu Verfügung zu haben. Dafür sehe der Koalitionsvertrag eine Vielzahl von Maßnahmen vor.
Es sei der Kanzlerin und der gesamten Bundesregierung sehr bewusst, dass der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum "ein großes Thema für die Menschen ist" und dass Mieten und Immobilienpreise gerade für Bezieher unterer und mittlerer Einkommen eine Belastung darstellten. Die Antwort darauf sei aber nicht Enteignung, betonte Seibert.
Initiativen bereits auf dem Weg
Das Bundesinnenministeriums verwies darauf, dass die Große Koalition auf dem Wohngipfel im vergangenen September bereits eine "historisch beispiellose Wohnraumoffensive" auf den Weg gebracht habe, die jetzt abgearbeitet würde. Für den sozialen Wohnungsbau, das Baukindergeld, Wohngeld und Städtebauförderung würden mehr als 13 Milliarden Euro zu Verfügung, sagte der Ministeriumssprecher. Es gehe darum, Baumaßnahmen voranzutreiben und Bauland zu Verfügung zu stellen.
Grüne uneins
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hatte der "Welt am Sonntag" gesagt, wenn etwa Eigentümer brachliegende Grundstücke weder bebauen noch an die Stadt verkaufen wollten, müsse notfalls die Enteignung folgen. Das Grundgesetz sehe solche Enteignungen zum Allgemeinwohl grundsätzlich vor.
Demgegenüber sprach sich Hessens Bauminister Tarek Al-Wazir dagegen aus. Im Deutschlandfunk setzte er sich für die Förderung von Neubauten ein. Den Leuten ihr Eigentum wegzunehmen und hohe Entschädigungen zu zahlen, funktioniere nicht und lindere auf lange Sicht die Wohnungsnot nicht.
CSU: "Sozialistische Ideen"
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von "sozialistischen Ideen", die mit bürgerlicher Politik nichts zu tun hätten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindterklärte: "Wer wie Herr Habeck nach dem Motto 'Enteignen statt Bauen' handelt, schafft nur neue soziale Ungerechtigkeiten und stellt den gesellschaftlichen Frieden infrage", sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ideologie löse keine Probleme.
Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Volksbegehren in Berlin zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Darin wird gefordert, dass der Senat Tausende Wohnungen enteignet und vergesellschaftet. Die Initiatoren berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Er lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu.
Die Initiatoren haben sechs Monate Zeit, um für die erste Stufe des Volksbegehrens 20.000 Unterschriften zu sammeln. Am Montagvormittag teilten sie über Twitter mit, das bereits rund 15.000 Menschen das Volksbegehren unterstützen. Wenn das Landesparlament die Inhalte des Begehrens nicht umsetzt, braucht die Initiative in einer zweiten Stufe die Unterschriften von mindestens sieben Prozent der Wahlberechtigten, also rund 170.000 Berlinern. Klappt das, folgt ein Volksentscheid.
Städte- und Gemeindebund sorgt sich um Folgen
SPD-Politiker äußerten sich in der Debatte uneinheitlich. Gegen Enteignungen sprach sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, aus. Man dürfe sich nicht "zu irrationalen und kontraproduktiven Scheinlösungen, wie der Enteignung, verleiten lassen", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Enteignung schaffe keine einzige neue Wohnung. Die Kommunen sollten vermehrt auf Erbbaurecht setzen, statt ihren Boden an Dritte zu verkaufen. Ziel müsse es sein, Boden in öffentlicher Hand zu belassen, so Schneider.
SPD-Chefin Andrea Nahles hatte bereits am Sonntag dem Vorstoß Habecks eine Absage erteilt. Für ihren Stellvertreter Ralf Stegner könnten Enteignungen dagegen ein "Notwehrrecht gegen Marktradikalismus für handlungsfähigen Staat" sein.
Der Städte- und Gemeindebund warnte vor negativen Folgen der Debatte: "Durch derartige publikumswirksame Diskussionen, die sogar von einigen Politikern unterstützt werden, wird die Bereitschaft von privaten Investoren, neuen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, im Zweifel deutlich reduziert", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der "Passauer Neuen Presse". Die Hoffnung, Enteignungen großer Wohnungskonzerne könnten die Wohnungsnot lindern, sei ein großer "Irrglauben".