Kommunalwahlen: Wirtschaftskrise bedroht die Macht von Erdogan
Berlin (Welt) - Bis vor wenigen Tagen lief alles noch ganz ordentlich für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er konnte zuversichtlich sein für die Kommunalwahlen am Sonntag. Die türkische Wirtschaft befindet sich zwar in der Rezession, die Arbeitslosigkeit liegt mit 13,5 Prozent auf dem höchsten Stand seit 2010. Doch wenigstens war der Verfall der Lira gestoppt, und um die Staatskasse aufzupeppen, hatte er im Januar verfügt, dass die Zentralbank ihre Gewinne drei Monate früher ausschütten musste, rechtzeitig vor der Wahl.
Doch dann drohte sich das Drama des vergangenen Jahres zu wiederholen: Die Lira stürzte erneut ab. Die Regierung reagierte diesmal jedoch umgehend, sorgte mit drastischen Maßnahmen dafür, dass den Devisenhändlern das Wasser abgegraben wurde, mit Erfolg – die Lira stabilisierte sich.
Allerdings führt dies nun dazu, dass es an allen anderen Ecken im türkischen Finanzsystem knirscht: Der Aktienmarkt stürzt ab und die Zinskosten für den Staat explodieren. Und vor allem ist der langfristige Schaden erheblich. Denn Erdogan vergrault internationale Investoren, von denen das Wohl und Wehe des Landes abhängen.
Über fünf Prozent hatte die Lira am vergangenen Freitag plötzlich verloren. Unmittelbarer Anlass war eine Analyse der Investmentbank JP Morgan, in der diese ihren Kunden riet, Lira-Positionen zu verkaufen. Sie verwies als Begründung auf die Statistik der Notenbank, die zeigte, dass deren Devisenreserven deutlich geschrumpft waren.
Dies legte den Verdacht nahe, dass die Währungshüter damit den Kurs der Lira gestützt hatte, um vor den Wahlen am 31. März Kursausschläge zu verhindern. JP Morgan vermutet, dass diese Stützungskäufe nach den Wahlen beendet werden und der Kurs folglich sinken wird.
Reaktion der Regierung löst Chaos aus
Dieser Ausblick gesellte sich zu anderen negativen Nachrichten. So war wenige Tage zuvor bekannt geworden, dass sich das Haushaltsdefizit im Februar gegenüber dem selben Vorjahresmonat verneunfacht hatte – und hier waren bereits die vorzeitigen Gewinnausschüttungen der Zentralbank enthalten. Ohne diese wäre die Bilanz noch katastrophaler ausgefallen. In dieser Gemengelage war es nicht verwunderlich, dass die Währung abstürzte.
Chaotisch wurde es jedoch erst durch die Reaktion der Regierung. Denn Präsident Erdogan kündigte an, dass jene, die zum Verkauf von Lira rieten, dafür einen hohen Preis zahlen müssten und die Aufsichtsbehörde ließ Ermittlungen gegen JP Morgan aufnehmen. Doch wichtiger als die Rhetorik waren die konkreten Maßnahmen.
Offenbar wies die Regierung die Banken an, keine Lira mehr an ausländische Investoren zu verleihen. „Damit soll diesen erschwert werden, Lira-Shortpositionen einzugehen“, sagt Manuel Andersch, Währungsanalyst bei der BayernLB. Sprich: Wetten gegen die Lira sollten unmöglich werden.
Tatsächlich konnten ausländische Investoren am türkischen Markt praktisch keine Lira mehr erhalten. Die Zinssätze für die sogenannte Overnight-Rate, also für den Geldverleih über Nacht, explodierten von 23 auf über 1000 Prozent. Das führte jedoch nicht nur dazu, dass Währungsspekulanten de facto trocken gelegt wurden. Auch ausländische Banken, die mit Geschäftsschluss regelmäßig Positionen glatt stellen müssen, gerieten in die Bredouille, ebenso Unternehmen, die beispielsweise einfach nur Handelsverträge gegen Kursschwankungen absichern wollen.
Ausverkauf bei Aktien und Anleihen
Viele mussten daher nun andere Wege finden, an Geld zu kommen – und fanden sie im Verkauf türkischer Aktien oder Anleihen. Als Folge davon stürzten die Kurse an der Börse in Istanbul in den vergangenen Tagen um über zehn Prozent ab und die Renditen für türkische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit stiegen von 15 auf über 18 Prozent. Doch immerhin: Der Kurs der Lira stabilisierte sich.
„Dass derartige Maßnahmen nicht nachhaltiger Natur sind, ist jedem klar“, warnt Andersch jedoch. „Die Türkei ist schließlich immer noch in großem Umfang von ausländischem Kapital abhängig.“ Dies liegt daran, dass die Türken seit Jahren über ihre Verhältnisse leben, sie importieren mehr als sie exportieren, und die Lücke muss über Kapitalzuflüsse geschlossen werden. Erst recht, da diese Lücke neuerdings wieder deutlich wächst.
Zudem muss die Regierung innerhalb der kommenden zwölf Monate rund 177 Milliarden Dollar an Auslandsschulden refinanzieren. Auch dafür braucht sie die ausländischen Investoren. Für deren Stimmung seien die Maßnahmen und die Rhetorik der Regierung der vergangenen Tage „nicht wirklich förderlich“, sagt Andersch.
Unter der Hand werden einzelne Investoren noch deutlicher. Sie überdenken derzeit, ob es langfristig noch sinnvoll ist, in der Türkei zu investieren, wollen damit jedoch nicht zitiert werden – aus Angst ähnlichen Repressionen ausgesetzt zu werden wie derzeit JP Morgan.
Ist die Lira noch investierbar?
Julian Rimmer, ein Händler bei der Investec Bank in London ließ sich von der Nachrichtenagentur Bloomberg im Hinblick auf die jüngsten Maßnahmen der Regierung immerhin mit den Worten zitieren: „Aufgrund einer solchen Taktik wird jeder Händler hinterfragen, ob die Lira noch investierbar ist.“
Entscheidend dürfte sein, wie Erdogan nach den Wahlen reagiert. Ein positives Szenario sähe vor, dass die Beschränkungen beim Lira-Verleih für die Banken nach und nach wieder aufgehoben werden. Dann könnten die Ereignisse der vergangenen Tage schnell wieder vergessen sein.
Anders sähe es aus, wenn die Wahlen am Sonntag zu Erdogans Ungunsten ausfallen und er dies nicht zu akzeptieren bereit ist. „Mit Blick auf die Entscheidung über den Einzug in das Rathaus Ankaras deutete der Präsident bereits an, dass ein Wahlsieger der Opposition entmachtet und durch einen von der Regierung bestellten Verwalter ersetzt werden könnte“, sagt Sören Hettler, Analyst bei der DZ Bank. Dass Erdogan zu solchen Schritten grundsätzlich bereit sei, habe er in den kurdisch geprägten Gebieten zuletzt mehrmals gezeigt.
Dies könnte jedoch einen weiteren Schlag für das Vertrauen der Investoren bedeuten, vor allem, wenn dies zu Protesten in der Bevölkerung führen sollte. „Die entsprechenden Bilder, die daraufhin über die Ticker der Nachrichtenagenturen laufen dürften, sollten eine Verunsicherung auf Seiten der Anleger nach sich ziehen“, fürchtet Hettler:
„Vor dem Hintergrund der Lira-Krise des vergangenen Jahres und der weiterhin schwachen fundamentalen Situation der Türkei dürfte es nicht allzu viel brauchen, um das Vertrauen der Investoren in das Land am Bosporus erneut ins Wanken zu bringen.“ Und Andersch fasst die Lage zusammen: „Die Lira-Krise ist noch lange nicht ausgestanden.“