AKK gegen Merkel: Das Kanzleramt rückt näher
Berlin (N-Tv) - Ihre Prognosen im Dezember waren eher durchwachsen. Die CDU schien gespalten, ihre Wahl zur Vorsitzenden war so knapp, dass sie nur die Hälfte der Delegierten hinter sich brachte. Die Umfragen für die Union waren zwischenzeitlich bis auf 27 Prozent abgesackt. Die CSU, das Schäuble-Merz-Lager, die Konservativen und der Wirtschaftsflügel fremdelten mit Annegret Kramp-Karrenbauer. In den Medien wurde sie als "Mini-Merkel" verspottet. Sie hatte kein Ministeramt, nicht einmal ein Bundestagsmandat, ihr Scheitern in Berlin schien nur eine Frage der Zeit.
100 Tage später ist Erstaunliches passiert. Denn AKK ist über Parteigrenzen hinweg plötzlich die gefühlte Kanzlerin der Zukunft. Wie selbstverständlich wird sie allenthalben - von Büttenreden bis zu Rotary-Abenden - als die Nachfolgerin Angela Merkels betrachtet. Sogar die FDP würde mit ihr Jamaika doch noch wagen - ein Indiz, dass AKK vieles richtig macht.
Auch die Umfragen zeigen: Ein Duell zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles um die Kanzlerschaft würde laut RTL/n-tv Trendbarometer die CDU-Chefin haushoch für sich entscheiden. 45 Prozent der Befragten stimmten für sie, nur 13 Prozent wählten Nahles. Träte Kramp-Karrenbauer gegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz an, wäre der Abstand zwar geringer, aber immer noch gewaltig. 20 Prozent wären für den SPD-Mann, doppelt so viele für die Christdemokratin. Nach 100 Tagen AKK als CDU-Vorsitzende hat sich auch die Union in den Umfragen stabilisiert und kommt wieder regelmäßig auf Werte von mehr als 30 Prozent. Zuweilen ist die CDU/CSU sogar doppelt so stark wie die SPD.
AKK pilgert zu CSU und Konservativen
Die CDU-Chefin schlägt darob immer selbstbewusstere Töne an. So legt sie öffentlich die deutsche Europapolitik fest und antwortet Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Gestus einer Regierungserklärung auf dessen Reformvorschläge. Erstaunlich dabei ist weniger ihre Chuzpe, ohne jedes Regierungsmandat Außenpolitik betreiben zu wollen. Erstaunlich ist die stillschweigende Akzeptanz ihrer Strategie von Merkel bis Maas, von Berlin bis Paris. Bei Gerhard Schröder oder Helmut Kohl wäre es undenkbar gewesen, dass ein potentieller Nachfolger schon so offensiv in die Tagespolitik eingegriffen hätte. Merkel aber überlässt ihr eine Bühne nach der anderen.
AKK ist es zudem gelungen, die eigenen Reihen wieder ein Stück weit zu schließen. Sie geht ohne Scheu auf die Parteiränder zu. Ganz anders als Angela Merkel, die Konservative, Wirtschaftsliberale und die CSU am Ende wie Aussätzige behandelt hat, sucht AKK offensiv das Gespräch. Sie pilgert in bayerische Klöster zu CSU-Klausuren und sogar zur CDU nach Fulda, einem Hort der Konservativen und jenem Ortsverband, der Friedrich Merz auf dem Parteitag offiziell nominiert hatte.
Kritische Kreisvorsitzende berichten, dass sie plötzlich AKK am Telefon hätten. Die Anhänger ihrer ehemaligen Konkurrenten, Friedrich Merz und Jens Spahn, werden systematisch eingebunden. Spahns Getreuen Paul Ziemiak hat sie zum Generalsekretär gemacht. Mit Merz hat sie einen strategischen Burgfrieden geschlossen. Er wird Superminister, wenn sie einmal Kanzlerin geworden ist. Die CDU darf wieder Flügel haben. AKK ist nahbar, redet mit allen, hört zu und bindet ein.
Gezielt zeigt sie dabei ein eigenes politisches Profil, das näher am Markenkern der Union ist als das von Merkel. Mit dem heiklen "Werkstattgespräch" zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zog sie einen demonstrativen Schlussstrich unter Merkels liberale Zuwanderungspolitik. "Die Fehler von 2015 dürfen sich nicht wiederholen", lautet die neue Devise der CDU, ja sogar Zurückweisungen an der Grenze sind mit ihr denkbar. Damit schließt AKK die Gräben zur CSU und signalisiert AfD-Protestwählern, wieder zurückkehren zu können.
Enge Abstimmung mit Merkel
Von "Mini-Merkel" wird jetzt kaum mehr geredet, dazu grenzt sich AKK zu deutlich von Merkel ab. Auch ihren misslungenen Karnevalsscherz nutzte sie zur Offensive gegen politische Überkorrektheit. Sie will anecken und wird dabei von Woche zu Woche selbstbewusster. Man kann ihr beim politischen Wachsen regelrecht zusehen. Auffallend unauffällig ist dabei das Stillhalten von Angela Merkel. Beide gehen offensichtlich in enger Abstimmung vor, beraten in Morgenrunden die nächsten Schritte.
Dass Merkel AKK schon jetzt so viel Deutungsmacht in der Öffentlichkeit überlässt, mehrt die Gerüchte in Berlin, dass eine vorzeitige Stabübergabe denkbar ist. Vor allem der jüngste Coup, das Hinwerfen des machtpolitischen Fehdehandschuhs an die SPD, zeigt, dass die Übergangsphase der Macht begonnen hat. Annegret Kramp-Karrenbauer will den für Herbst geplanten Koalitions-Check vorziehen, wenn das die Wirtschaftslage erfordert. Und da die Konjunktur sich deutlich abkühlt, erfordert sie es tatsächlich.
Es handelt sich dabei um nichts weniger als die Sollbruchstelle der Großen Koalition. AKK gelingt es damit, sich als Taktgeberin der großen Politik zu inszenieren und dem neu entdeckten Sozialprofil der SPD die Wirtschaftskompetenz der CDU entgegenzustellen. Die erste Botschaft soll lauten: Wenn die Koalition bricht, liefern nicht wir von der CDU zu wenig Sozialpolitik, sondern ihr von der SPD zu wenig Zukunftssicherung. Die zweite Botschaft heißt: die Koalition kann durchaus in diesem Jahr platzen, und ich stehe dann bereit.
Kurzum: Die ersten 100 Tage sind aus Sicht der neuen CDU-Vorsitzenden geschmeidig bis gut gelaufen. Ihre Chancen sind gestiegen, in nurmehr wenigen 100 Tagen ins Kanzleramt einzuziehen.